Fremde Federn
Michigan-Hauptbahnhof am Ufer des Detroit River. Paul holte seine Ausrüstung am Gepäckwagen ab, vergewisserte sich, daß seine Kamera unversehrt war, und winkte ein zischendes Dampftaxi herbei. Er zog eine vom Tabak fleckige Visitenkarte aus seiner Westentasche.
»Hotel Ponchartrain.«
Beim Anblick der Stadt besserte sich seine Stimmung. Sie schien modern und sehr lebendig. Da lebten an die vierhunderttausend Menschen, darunter Polen und Finnen, Franzosen und Sizilianer, Rumänen, Armenier und Chinesen. Und natürlich eine große Zahl von Deutschamerikanern, in einem Stadtteil namens Klein-Berlin.
Manche Straßenbeläge waren altmodische, mit Pech verfugte Zedernblöcke; selbst an diesem kühlen, frostigen Tag stieg ihm der Teergeruch in die Nase. Aber die Gebäude waren hoch, die Denkmäler beeindruckend und alle Trambahnen elektrifiziert, Symbole des Fortschritts.
Da er Carls Adresse besaß, hatte er ihm telegraphiert und ihn gebeten, ihn nach Feierabend in der Bar des Hotels Ponchartrain zu treffen. Nach dem Auspacken legte er sich in die Badewanne, um seine Rückenschmerzen zu lindern; anschließend träumte er, auf dem Bett liegend und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, von Julie. Er beschloß, vor seinem Treffen mit Carl noch einen kleinen Spaziergang zu machen: über den Cadillac Square und dann zum größten Platz der Stadt, zum Campus Marius. Um halb sieben stellte er den Fuß auf die Messingstange an der Bartheke und bestellte ein Lagerbier von Crown. Er bekam es. Fein für Onkel Joe.
Die Bar war gut besucht, in der Hauptsache von eleganten Herren, die in lebhafte Unterhaltungen vertieft waren. Als Paul etwas genauer hinhorchte, bemerkte er, daß es größtenteils um das Automobilgeschäft ging. Er hörte Satzfetzen wie »verdammte Gewerkschaften«. Ein anderer sagte: »Keine Sorge, die E. A. hat vier Männer in die Fabrik eingeschleust.«
Im hinteren Teil der Bar entdeckte er eine erstaunliche Vielfalt von Autoteilen, angefangen von gußeisernen Motorblöcken bis zu Stoßstangen, Scheinwerfern aus Messing, Armaturenbrettern und Kühlern. Ein Mann stellte einen Kleiderständer neben den Motorblock, hängte einen Fahrermantel aus Leinen darüber und begann, vor mehreren Interessierten ein Loblied auf die Vorzüge dieses Mantels zu singen.
»Paul!« Carl winkte mit seiner Mütze, während er durch die Bar auf ihn zukam. Seine Schuhe waren ramponiert, und sein brauner Anzug sah aus, als habe er ihn gebraucht erstanden - Jackett und Hose waren zu kurz. Aber sein Lächeln war so strahlend, wie Paul es in Erinnerung hatte. Die beiden Männer umarmten sich.
Paul bestellte zwei Gläser Bier. Carl fragte nach Julie und den Kindern. Paul berichtete, und dann fragte er: »Und was ist mit dir? Wie geht es dir bei Ford?«
»Ausgezeichnet. Ich arbeite gern dort, es ist aufregend.« Paul stemmte die Ellbogen auf die Bar, die Handflächen waren um das eiskalte Bierglas geschlossen. »Also, versteh mich nicht falsch. Nicht alles gefällt mir, die Stechuhr beispielsweise hasse ich. Aber ich habe viel über Automobile gelernt und bin sogar in den Kreisen bekannt, die mit Autorennen zu tun haben. Viele Automobilfirmen stellen ihre Wagen für Rennen zur Verfügung, um sie vorzuführen.« Er griff nach einer Schale mit Erdnüssen, die er mit einer ungeschickten Bewegung umwarf, so daß die Erdnüsse über die Theke rollten.
»Was genau machst du?«
»Ich arbeite nicht drinnen, Gott sei Dank! Das würde ich niemals aushalten. Henry Ford ist auch nicht gern drin. Er kommt und geht, wie es ihm paßt. Klar, er ist der Boß. Ich bin bloß ein kleiner Fahrer. Die Bezahlung ist nicht schlecht für einen ungelernten Arbeiter -achtundzwanzig Cent die Stunde, und das mal neun. In der Hauptsache fahre ich ein Modell T runter zur Frachtstation, von wo es dann verschickt wird. Manchmal fahre ich eine Sonderbestellung zu einem Händler in Ohio oder Michigan oder Indiana. Hin und wieder probiere ich auch einen Wagen auf der Teststrecke aus.«
»Ford hat eine eigene Teststrecke?«
Carl lachte. »Vor deiner Nase. Cadillac Square, Woodword Avenue - die Straßen.«
»Ich habe morgen vormittag einen Termin, um das neue Modell T zu filmen. Möglich gemacht hat das Ganze ein Mann namens Couzens.«
»James Couzens. Geldmensch. Ansonsten ein ziemlicher Sauertopf. Lächelt vielleicht einmal im Jahr. Herrgott, ich freue mich ja so, dich wiederzusehen! Laß dir von dem wunderbaren Mädchen erzählen, das ich kennengelernt
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