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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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dachte schon, du wärst nach China gereist oder hättest mich vergessen.«
    Er lachte. »Ich gehöre zur arbeitenden Bevölkerung. Letzten Sonntag hatte ich drunten in Monroe ein Rennen, das ich übrigens verloren habe. Morgen soll es sehr schön werden. Hättest du Lust, zur Belle Isle mitzukommen?«
    »Ja.«
    Sie verabredeten sich an den Docks in der Dritten Straße. Er kaufte zwei Rückfahrkarten, die zusammen zwanzig Cent kosteten. Es war ein herrlicher spätsommerlicher Nachmittag, der Himmel wolkenlos und heiter. Die Fähre um Viertel nach eins wurde von Familien bevölkert, die, mit Picknickkörben beladen, zum beliebtesten Erholungspark der Stadt unterwegs waren.
    Obwohl Sonntag war, herrschte viel Verkehr auf dem Detroit River. Radschaufelbetriebene Fähren pendelten zwischen Windsor und Detroit. Große Frachtschiffe mit Erz- oder Getreideladungen passierten Dampfer, die von Cleveland zurückkamen oder nach Buffalo ausliefen. Ein Frachter namens Alpena Beauty, mit Klafterholz beladen, näherte sich den Landungsbrücken. Carl und Tess lehnten an der Reling; Tess hielt ihren flachen Strohhut fest in der Hand.
    Die Insel trug einen gelb-braun gemusterten Mantel, die Folge des sengend heißen Sommers. Die Familien schwärmten an die Picknick-tische aus. Carl und Tess nahmen den Weg zur Kanustelle. Carl mietete ein Kanu und half Tess hinein. Er lächelte hilflos, als sie seine Hand drückte und ihn mit ihren wunderschönen blauen Augen einen Moment lang festzuhalten schien. Er war so verwirrt, daß er um ein Haar daneben getreten wäre.
    Als er das Kanu vom Ufer abstieß, wich plötzlich alles Blut aus ihren Wangen. Sie legte die Hand auf den Mund.
    »Was ist los?«
    »Nichts, gar nichts. Nur ein kleiner Schwindelanfall. Aber ist das nicht ein herrlicher Tag?«
    Er paddelte von einem Seitenarm in den anderen. Tiefhängende Weidenäste berührten die Wasseroberfläche am Ufer. Auf einer Wiese hatten sich Jungen im Highschoolalter zu einem Baseballspiel zusammengefunden. »Hast du Wayne in letzter Zeit gesehen?« fragte Carl.
    »Nein. Warum fragst du?«
    »Du hast doch gesagt, daß er ein Auge auf dich geworfen hat.«
    »Ja, ja, aber das ist hoffnungslos. Leider wissen er und mein Vater noch nichts davon.«
    »Was ist hoffnungslos?«
    »Waynes Wunsch, daß ich ihn heirate. Vater fängt immer wieder davon an. Wayne hat mir letztes Jahr einen Antrag gemacht. Als ich ihn ablehnte, sind ihm die Adern an den Schläfen ganz dick angeschwollen. Ich würde ihn nicht heiraten, und wenn wir ganz allein auf der Welt wären.«
    »Du bist sehr unabhängig. Wie kommt das?«
    »Bestimmt nicht von Piety Hill oder Grosse Point, das kann ich dir versichern.« Sie nahm ihren Hut ab, legte ihn auf den Schoß, zog die Kämme aus dem Haar und schüttelte den Kopf, daß ihre Haare im goldenen Herbstlicht funkelten. »Von meiner Mutter. Sie hat an einer staatlichen Schule die vierte Klasse unterrichtet. Als Vater dann immer mehr Geld verdiente und auf der sozialen Leiter nach oben kletterte, wie er es sich immer erträumt hatte, wollte er, daß sie aufhört zu unterrichten. Aber sie wollte nicht aufhören. Sie sagte, sie habe noch viele Heiden zu missionieren.«
    »Heiden? In der Schule?«
    »Das war nur so ein Ausdruck von ihr. Sie meinte Kinder, denen nichts anderes als niedrige Arbeit und ein Leben in Armut bevorstünden, wenn sie nicht wenigstens eine Grundausbildung bekamen
    - vorausgesetzt natürlich, sie hatten überhaupt die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Sie unterrichtete in einer weißen Schule, in der es zwölf Klassen gab, und sie setzte sich dafür ein, daß den Schwarzen das gleiche geboten wurde. Schwarze Kinder gingen nur sechs Jahre zur Schule - noch heute sind es nicht mehr. Mama hat sich mit dieser Forderung ziemlich unbeliebt gemacht, aber sie hat nicht aufgehört, dafür zu kämpfen. Sie war der Meinung, daß niemand in dieser Welt bestehen oder auch nur überleben könne, wenn er dumm ist. Sie sagte immer, es setze Verstand voraus, sich nicht anzupassen und statt dessen seinen eigenen Weg zu finden. Ich habe mir das zu Herzen genommen, lang bevor sie gestorben ist.«
    Carl zog das Kanu an Land. Auf einem abgelegenen Pfad schlen-derten sie auf die kanadische Seite der Insel hinüber, die Familienpicknicks und Baseballspiele weit hinter sich lassend. An einem schattigen Fleckchen nahm Carl ihre Hände. »Ich muß dir etwas sagen. Ich hab’ auch ein Auge auf dich geworfen, genau wie dein Freund Wayne.«
    Sie

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