Fremde Federn
Eisenbahnarbeiter aufmerksam gemacht, der jeden Abend nach der Vorstellung im Theater auftauchte. So habe ich es erfahren. Hobart hat seine Neigung mit neunzehn entdeckt. Jahrelang war er der Meinung, er sei einer der wenigen Männer, wenn nicht gar der einzige, dessen Veranlagung ihn auf einen anderen Weg führt. Obwohl er inzwischen Gleichgesinnte kennengelernt hat, lebt er immer noch in der Angst, entdeckt oder in einen öffentlichen Skandal verwickelt zu werden. Wenn es herauskäme, würde ihn selbst der toleranteste Manager ächten. Es ist vielleicht ungerecht, aber so ist es nun mal. Ich würde deshalb an Ihrer Stelle nicht zu hart über ihn urteilen. Unter der Oberfläche verbirgt sich ein gütiger, anständiger Mensch.«
»Ich kann es immer noch nicht fassen, daß es sexuelle Beziehungen zwischen Männern gibt. In meiner Kindheit habe ich nicht mal gerüchteweise davon gehört.«
»Auch bei uns wurde nicht darüber gesprochen. Aber die Sache gab es schon bei den alten Griechen, obwohl das Thema bis heute möglichst gemieden wird.«
»Wenn zwei Männer ... Sie wissen schon, wenn sie zusammen sind .« Fritzi wurde rot. »Was machen sie dann?«
Mrs. Van Sant klappte den Deckel ihrer Holzschatulle auf, den ein federgeschmückter Indianerhäuptling zierte. »Ach, Sie werden von selbst draufkommen, wenn Sie drüber nachdenken. >Leben und leben lassen< ist zwar ein abgedroschenes Motto, aber manchmal ganz nützlich. In der Theaterwelt ist es unerläßlich.«
Fritzi grübelte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen bat sie Manchester, sie um die Mittagszeit in einem nahe gelegenen Café zu treffen.
»Ich kann nicht, ich habe keine Zeit.«
Sie sah ihm unverwandt in die Augen. »Ich weiß, warum Sie mich zum Abendessen eingeladen haben. Fritzi Crown war ganz unwichtig, es hätte jede beliebige Frau sein können. Irgendeine Frau.«
»Du meine Güte!« Blaß und zitternd sagte er schließlich: »Vor dem Theater. Um zwölf.«
Im Café wählte sie einen der hinteren Tische, in deren Umgebung niemand saß. »Ich fühle mich benutzt«, sagte sie, als der Kellner außer Hörweite war.
»Ich schäme mich zutiefst. Wer hat geplaudert? War es die Plaudertasche Van Sant?«
»Oh, nein. Woher ich es weiß, ist ganz unwichtig. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wütend ich war. Mit Eustacia habe ich erst anschließend darüber gesprochen. Ich wollte nur kurz unter vier Augen mit Ihnen reden, um Ihnen zu sagen, daß ich nicht mehr wütend bin. Sie sind sehr freundlich zu mir gewesen. Ich möchte diese Freundlichkeit zurückgeben. Ihr Privatleben interessiert mich nicht.«
Er sammelte seine Gedanken, dann holte er tief Luft. »Fritzi, ich muß Ihnen noch etwas anderes gestehen, was mir schwer auf der Seele liegt. Ich habe Sie nicht nur wegen Ihres Talents engagiert, sondern weil ich Ihnen weniger bezahlen konnte als den anderen Hexen. Wenn Sie mir jetzt den Kaffee ins Gesicht schütten, werd’ ich’s Ihnen nicht übelnehmen. Aber wenn Sie mir verzeihen können, werde ich Ihre Gage auf sech... fünfzehn Dollar erhöhen. Ich habe Sie schändlich mißbraucht, aber ich werde es nicht wieder tun, wenn Sie meine Freundin bleiben. Gott weiß, daß ich nicht viele habe.«
Sie drückte seine Hand. »Vergessen und vergeben. Ich meine es ehrlich.«
Er schluckte, dann blies er in seinen sich bereits abkühlenden Kaffee. »Nun, ich fühle mich schon viel, viel besser. Es tut mir schrecklich leid, daß ich Sie getäuscht habe. Armut und Not sind schlechte Berater. Aber nun ist Schluß mit der Maskerade. Jetzt müssen Sie mir ganz ehrlich eine Frage beantworten. Wie finden Sie unser Stück?«
»Ich finde es hervorragend. Ich bin sicher, wir werden am Montag Erfolg haben.«
Was eine glatte Lüge war.
»Ist das Ihr Ernst?«
»Mein voller Ernst.«
Noch eine Lüge. Inzwischen stand Fritzi nämlich auch schon beinahe unter dem Bann des schottischen Stücks. Hell wie eine blinkende Leuchtreklame tauchte ein Wort immer wieder in ihrem Kopf auf. Katastrophe.
22. TESS
Die Wettervorhersage für das Wochenende in Detroit war ausgesprochen gut. Carl hörte es von Jesse, der täglich mehrere Zeitungen las. Er nahm immer die mit, die die weißen Gießereiarbeiter zurückließen.
Am Samstag meldete sich Carl in seiner Mittagspause telephonisch im Haus der Clymers am Piety Hill, einem Abschnitt der Woodward Avenue, wo sich Kirchen und noble Villen abwechselten. Er wartete ungeduldig, während ein Hausmädchen Tess ans Telephon holte.
»Ich
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