Fremde Federn
auf ihn ein. Marble reckte den Hintern in die Luft und stützte sich auf den Ellbogen ab, die Hände um den Kopf geschlungen. Einer trat ihn mit dem Fuß in die Seite.
»Laßt gut sein, Männer, laßt den armen Teufel in Ruhe«, meldete sich jetzt Barney zu Wort und stellte sich zwischen seine Leute und Marble. »Bringt ihn raus, fesselt ihn und ruft den Sheriff. Bess, bist du in Ordnung?«
»Ja, Barney«, antwortete sie mitgenommen und musterte ihn mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht.
»Komm her und trink was! Alle herkommen, die Getränke gehen auf Barney! Tut mir leid wegen dem Spektakel«, entschuldigte er sich bei den drei Barkeepern. Er gab jedem von ihnen fünf Dollar. Während die Anwesenden an die Theke strömten, ging Barney auf Carl zu.
»Du hast mir das Leben gerettet, mein Junge. Hast ’n schnelles Reaktionsvermögen. Fährst du auch so Auto?«
»Na ja, ich versuch’ es jedenfalls.«
»Ich sag’ dir was. Ich bin den ganzen Sommer unterwegs, aber im August bin ich mit Sicherheit in Indianapolis, weil ich dort die neue Autoschnellstraße eröffne. Ich glaube, daß Red, mein zweiter Fahrer, mich im Juli verlassen wird, seine Frau hat ’nen Laib im Ofen. Wenn er sich tatsächlich verabschiedet und ich bis dahin niemanden habe, werd’ ich’s mit dir versuchen.«
»Ich werde Sie finden. Danke.«
»Ohne Garantie, verstanden?«
»Das Risiko gehe ich ein.«
»Gut, genau das ist unser Geschäft, das Risiko. Wie heißt du noch mal?«
»Crown. Carl Crown.«
»Carl. Alles klar.« Barney zielte mit dem Zeigefinger auf ihn und drückte ab. »Komm her und laß dich von Barney Oldfield zu einem Drink einladen.«
30. EIN VERZWEIFELTER ANRUF
Carl lehnte, nur im Nachtgewand, im Türrahmen. Lautes Klopfen hatte ihn geweckt. Vor seinem Zimmer stand Mrs. Gibbs mit einer Kerze auf einem Unterteller. Der Schein der Kerze war so schwach, daß ihr Kopf körperlos in der Dunkelheit zu schweben schien.
Carl rieb sich die Augen.
»Wieviel Uhr ist es?«
»Halb fünf.« Es war Dienstag, zwei Tage nachdem er Oldfield kennengelernt hatte. »Wirklich keine Zeit, um in einem anständigen Haus anzurufen.«
»Wer hat angerufen?« Seine Stimme klang schlaftrunken.
»Irgendeine Frau am Telephon sagt, es ist ein Notfall. Mrs. Wallauer kam rüber und hat mich aufgeweckt.«
»Großer Gott«, entfuhr es Carl, der mit einem Schlag hellwach war. »Ich gehe sofort rüber.«
»Ziehen Sie sich einen Mantel über, Sie sind ja halbnackt!« rief ihm die Vermieterin hinterher, aber er polterte bereits die Treppe hinunter.
Mrs. Wallauer war eine winzige Frau mit Altersflecken. Sie reichte ihm die Hörmuschel und trat ein paar Schritte zurück. Carl drehte ihr den Rücken zu, er überlegte fieberhaft. War seiner Mutter oder dem General etwas zugestoßen?
»Hallo?«
»Carl, ich bin es. Ich kann nicht lange sprechen.«
»Tess. Was ist denn los?« Er hörte das Zittern in ihrer Stimme. Irgend etwas Schreckliches mußte vorgefallen sein.
»Ich wollte erst bis morgen warten, aber ich konnte nicht schlafen. Ich bin zu aufgewühlt.«
»Sag mir doch, was los ist!«
»Das geht jetzt nicht, aber ich erzähl’s dir morgen früh. Ich hole dich um halb neun ab.«
»Tess, ich muß arbeiten.«
»Du kannst nicht. Sag, daß du krank bist.«
Der Mann, der zu deutschem Pflichtbewußtsein erzogen worden war, wand und krümmte sich. »Ich habe noch nie gelogen, um nicht zur Arbeit zu müssen.«
»Dann bist du also ein Heiliger? Ist das nicht wunderbar? Bedeute ich dir was?«
»Das weißt du doch.«
»Dann also halb neun.«
Mit einem Klicken wurde die Verbindung unterbrochen.
Er hängte die Hörmuschel auf die Gabel. Ein Geräusch hinter ihm brachte ihm Mrs. Wallauer in Erinnerung. »Was Schlimmes?« erkundigte sie sich mit schlecht verhohlener Erwartung.
Verwirrt und verängstigt sah er sie an. »Ja. Ja, ich glaube schon.«
Tess fuhr mit ihrem Clymer fünfzehn Minuten zu früh vor. Bis Carl, die Stoffmütze fest in der Hand, zum Tor hinausgerannt war, hatte sie sich auf die Beifahrerseite gesetzt. Er hatte das Haus in so großer Eile verlassen, daß er sogar vergessen hatte, seine Hosenträger anzuknöpfen.
Er öffnete die Wagentür, trat auf das Trittbrett und erschrak bei ihrem Anblick - ihre Wangen waren fleckig vom Weinen, ihre Augen verquollen und umgeben von großen dunklen Schatten. Sie trug einen teintfarbenen Staubmantel und einen breitkrempigen Hut, der unter dem Kinn mit einem roten Seidenschal festgeknotet war. Sie
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