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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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gehört mir ganz allein.
     
    Dies ist ein neues Jahr. Mama liegt im Bett. Sie sagt wieder nichts. Papa hat die Tür zugehauen und ist weggefahren. Franka ist bei ihrer Freundin Gabi. Gleich spiele ich mit Mäxchen.
     
    Heute war Frau Jansen wieder böse mit mir. Sie hat mich ins Klassenbuch eingetragen. Und ich musste nachsitzen. Nur weil ich bei Anja abgeschrieben habe. Sie hat gesagt, dass ich in der Arbeit eine Sechs kriege. Die werde ich niemandem zeigen, nicht mal Mama.
     
    Ich habe nicht geklaut. Nach dem Turnen lag das Fünfmarkstück plötzlich in meinem Turnbeutel. Aber Frau Jansen glaubt mir nicht. Sie hat Papa angerufen. Er sagt, ich bin eine Schande für die Familie. Was ist eine Schande? Irgendwas Schlechtes.
     
    Papa hat einen Brief von der Schule gekriegt. Weil ich sitzenbleibe. Er hat mich angeschrien. Und dann hat Mama ihn angeschrien. Weil Künstler nicht rechnen müssen. Und Franka hat gegrinst.
     
    Mäxchen ist tot! Er lag auf dem Boden mit den Beinen nach oben. Die Käfigtür war auf. Ich bin so traurig. Franka sagt, sie wollte ihn nur streicheln. Und dann ist er ihr hingefallen. Aber das glaube ich ihr nicht. Ich habe ihn in meinem Beet beerdigt.

    Mir schießt das Blut in den Kopf. Der Hamster ist mir zwischen den Fingern hindurchgeflutscht. Ich hätte die Käfigtür nicht öffnen dürfen. Aber ich habe gedacht, es sei ganz einfach, ihn in die Hand zu nehmen und zu streicheln. Ich wollte nicht, dass er stirbt, niemals.

    Heute haben Franka und ich uns gestritten. Wegen Gabi. Ich habe Franka gesagt, dass Gabi eine neue Freundin hat und nicht mehr mit ihr spielen will. Das stimmt nicht, du lügst, hat Franka geschrien. Und dann hat sie Gabi angerufen. Ich musste so lachen. Es war doch alles nur Spaß. Aber für Franka war es gleich eine Riesenlüge. Abends musste ich spucken. Mama lag wieder im Bett. Papa war nicht da. Franka hat Fotos von mir gemacht. Obwohl ich das nicht wollte.
    Lydia hopst in ihrem rosa Tanzröckchen durchs Wohnzimmer. Mutter fotografiert sie, mit meiner neuen Kodak Instamatic. Lass das, rufe ich und nehme ihr die Kamera weg. Ich will keine Fotos von der hopsenden Lydia. Ich hopse nicht, ich tanze!, schreit Lydia. Franka ist nur neidisch, sagt Mutter und nimmt Lydia in die Arme. Abends kauert Lydia auf den grünen Fliesen und spuckt in die Toilette. Ich mache ein Foto von ihr. Sie hält mir ihre gespreizte Hand entgegen und stöhnt. Ich drücke wieder auf den Auslöser und noch mal und noch mal. Lydia beginnt zu weinen, aber ich höre nicht auf. Das ist meine Rache für ihre gemeine Lüge. Hier ist sie nicht das schöne Kind. Hier tanzt sie nicht. Hier kotzt sie sich die Seele aus dem Leib.
    Andere Geschwister prügeln sich oder sperren sich gegenseitig ein. Warum quält es mich, an diese Bilder zu denken?
    Plötzlich sehe ich die erwachsene Lydia vor mir. Sie tanzt auf dem Eis. Mir wird schwindelig. Woher kommt dieses Bild? Lydia kann gar nicht eislaufen.
    Ich lehne mich an die Tür. Mein Herz schlägt unruhig. Das Gefühl einer fernen Bedrohung breitet sich in mir aus.

18.
    W ir sitzen beim Frühstück. Keine Nachricht von Jan. Vielleicht sind alle Flüge ausgebucht.
    Merle fragt nicht nach ihm. Sie blickt nur manchmal zur Tür.
    »Heute Nachmittag sind wir bei Ann-Kristin zum Kuchenessen eingeladen. Das ist das Mädchen, das dir die Kleidung geliehen hat.«
    »Ich weiß.«
    »Anschließend besuchen wir deine Mutter.«
    »Dann zeige ich ihr, was ich gemalt habe«, sagt Merle und zieht ein Blatt aus ihrer Hosentasche.
    Notenpapier. Ich schlucke.

    Ich stehe vor der Schule, mit Fahrrad und Helm. Ein zweiter Versuch. Merle setzt den Helm auf, als hätte es nie einen Protest gegeben.
    Das Radfahren gefällt ihr. Ich höre sie hinter mir summen. Eine neue Melodie.
    Nach zehn Minuten sind wir da. Merle blickt staunend auf die hohe Eingangstür, die großen Spiegel im Hausflur, die Treppenstufen aus Marmor.
    Wir steigen in den gläsernen Fahrstuhl. Ich erkläre ihr, dass Ann-Kristin fünf sei und sich darauf freue, sie kennenzulernen. Merle reagiert nicht. Warum sage ich so etwas?
    Esther empfängt uns strahlend wie immer. Ann-Kristin versteckt sich hinter ihrem Rücken. Ist nicht dazu zu bewegen, uns zu begrüßen. Wird Merle sich gleich umdrehen und die Treppe hinunterlaufen?
    Kurz entschlossen nimmt Esther die beiden Mädchen an die Hand und zieht sie sanft hinter sich her ins Wohnzimmer. Dort steht ein frisch gebackener Pflaumenkuchen auf dem Tisch.
    »Ihr dürft euch

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