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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Traum gehabt …«
    Lydia streicht sich über den Mund.
    »Möchtest du was trinken?«
    »Nein.« Sie schließt die Augen. »Ich habe geträumt, dass ich sterbe … noch während ich operiert wurde … das war das Schlimme … keiner der Ärzte konnte mir helfen … ich bin einfach verblutet …«
    Der Eisring! Lydia tanzt und stürzt. Das Eis um ihren Kopf herum färbt sich dunkelrot. Ich habe es geträumt. Lange vor Lydias Rückkehr.
    »Und Merle hat zugesehen … niemand hat dafür gesorgt, dass ihr dieser Anblick erspart bleibt … sie hat geschrien … fürchterlich geschrien … und allmählich wurde ihr Schreien immer leiser, weil ich das Bewusstsein verlor …«
    Mir schießen Tränen in die Augen. Ich würde Merle beschützen, will ich Lydia sagen. Ich würde dafür sorgen, dass sie so was niemals erleben müsste. Ich bekomme kein Wort heraus.
    »Du warst auch dabei«, fährt Lydia fort. »Du standst an der Wand und hast alles beobachtet. Dann hast du angefangen, dir Notizen für dein nächstes Drehbuch zu machen.«
    Ich lasse ihre Hand fallen.
    »Ist das nicht perfide?«, flüstert Lydia. »Meine eigene Schwester steht da, ohne mir zu helfen und benutzt mein Sterben als Stoff für ihre Arbeit.«
    »Was soll ich dazu sagen?« Meine Stimme klingt rauh. »Es war nur ein Traum?«
    »Du weißt, dass Träume immer eine innere Wahrheit enthalten.«
    »Ja, aber es ist deine innere Wahrheit. Es ist das, was du mir zutraust. Nicht das, was ich tatsächlich tun würde.«
    »Bist du dir da so sicher?«
    »Lydia, wie kannst du …«
    »Ich denke, dass sich meine Geschichte sehr gut für einen Film eignen würde.«
    »Überschätz dich nicht.«
    »Einen tragischen Film.«
    »Du hast schon immer zur Selbststilisierung geneigt«, sage ich und stehe auf.
    »Und du hast es nie ertragen, dass mein Leben so viel interessanter war als deins.«
    »War es das? Ich habe deine Abstürze nie als interessant erlebt. Für mich waren sie eine einzige Katastrophe.«
    »Alles besser als eine bürgerliche Existenz.«
    »Du scheinst ja sehr genau zu wissen, was eine bürgerliche Existenz ist.«
    »Ich bin in einer aufgewachsen. Oder wie würdest du unsere Familie beschreiben?«
    »Wenn ich mich richtig erinnere, sah Mutter sich eher als Künstlernatur.«
    Bei dem Wort Künstler erstarrt Lydias Miene. Eine verbotene Zone.
    »Bis morgen«, sage ich und gehe.

    Erst auf dem Rad fällt mir auf, dass wir nicht über Esther gesprochen haben. Vielleicht hat der Traum alle anderen Streitpunkte überdeckt. Oder Merle hat ihrer Mutter nichts von diesem Nachmittag erzählt.

    Noch immer keine Nachricht von Jan. Nachher rufe ich ihn an.
    Wir essen, Merle badet, um acht liegt sie im Bett.
    »Ich fahre kurz zu Esther. Bringe Ann-Kristins Kleidung zurück.«
    Merle nickt.
    »Länger als eine halbe Stunde wird es nicht dauern.«
    »Ist gut.«
    Ich schreibe Merle meine Handynummer auf und lege den Zettel neben ihr Kopfkissen.
    Esther kann es kaum fassen, dass ich Merle allein gelassen habe, nur um ihrer Tochter die Sachen zurückzubringen. Sie entschuldigt sich noch einmal für Ann-Kristin. Ihr Verhalten sei ihr nach wie vor schleierhaft. An der Kleidung habe es aber bestimmt nicht gelegen.
    »Ist ja auch egal«, sage ich und will gehen.
    »Wie kommt Jan eigentlich mit der neuen Situation zurecht?«
    »Er fährt demnächst in die Provence. Vielleicht ist er sogar schon weg.«
    »Wie bitte?«
    »Ich rufe dich an. Jetzt muss ich los.«
    »Franka, pass auf, dass du keinen Fehler machst.«
    »Bis bald«, antworte ich und trete in den Fahrstuhl.
    Merle schläft, als ich nach Hause komme.
    Auf meinem Band ist eine Nachricht von Jan. Er hat noch einen Flug nach Nizza bekommen und sitzt jetzt vor dem Haus in Saint-Rémy.
    »Die Grillen zirpen, und es ist wunderbar warm. Ich denke an euch. Grüß Merle von mir.«

19.
    I ch bringe Merle zur Schule. Ihre Hand liegt in meiner. Ich denke an Jan. Mein Erschrecken über seine Abreise. Suche nach den richtigen Sätzen. Jan musste überraschend weg. Mit dem Flugzeug. Nach Südfrankreich. Er hätte es dir gern selbst erzählt.
    »Ich habe neue Noten gemalt«, sagt Merle.
    »Jan lässt dich grüßen.«
    »Kommt er heute Abend zum Kochen?«
    »Nein. Jan ist gestern nach Südfrankreich geflogen.«
    Merle entzieht ihre Hand.
    »Er wird dort eine Weile arbeiten.«
    »Warum?«
    »Weil es ruhig, sonnig und warm ist.«
    »Ist es hier auch.«
    Ich will nach ihrer Hand greifen. Da ist nur eine Faust.
    »Es war eine

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