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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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wieder laut geworden.
    »Wie läuft’s mit deiner Arbeit?«
    »Wie bitte?«
    »Mit den Drehbüchern, meine ich.«
    Um Lydias Mund liegt ein Lächeln. Ein Hauch von Spott. Aber da ist auch etwas anderes, Neugieriges.
    »Ich … arbeite an einem Drehbuch für einen Krimi.«
    »Worum geht’s?«
    »Babyhandel.«
    »Aha. Ich muss dich ja nicht fragen, wie du auf dieses Thema kommst.«
    »Ich habe niemals ein Kind haben wollen.«
    Lydia steht auf und läuft langsam durchs Zimmer. An der gegenüberliegenden Wand dreht sie sich um und blickt mich an.
    »Und dein Pianist, will der keine Kinder?«
    »Er hat einen erwachsenen Sohn.«
    »Ist er geschieden?«
    »Seine Frau ist gestorben, als der Sohn noch klein war.«
    »Hat er ihn allein aufgezogen?«
    »Ja.«
    »Und selbst mit so einem Mann willst du kein Kind? Das versteh ich nicht.«
    »Wir haben ja schon öfter festgestellt, wie verschieden wir sind.«
    Wir gehen auf den Flur. Lydia hat sich noch nie bei mir untergehakt. Heute greift sie nach meinem Arm.

    Ich trug die Kette mit dem Tagebuchschlüssel nicht mehr. Gabi hatte mir eine andere geschenkt, mit einer silbernen Mondsichel. Sie hatte die gleiche. Und dann, eines Tages. Gabi spricht nicht mit mir. Gabi geht ohne mich in die Pause. Gabi trägt die Kette nicht mehr. Was ist los?, frage ich. Du Heuchlerin, schreit sie und wirft mir ein zerknülltes Blatt Papier vor die Füße. Ich falte es auseinander. Mir schießt das Blut in den Kopf. Meine Sätze, Lydias Schrift. Lydia hat mein Tagebuch gelesen. Manchmal wünsche ich mir, jemanden zu haben, dem ich alles sagen kann. Gabi mag ich gern, aber ich kann ihr nicht erzählen, wie einsam ich bin. Lydia ist doch süß, sagt sie immer. Sie begreift nicht, dass bei uns zu Hause was nicht stimmt. Mittags stelle ich Lydia zur Rede. Sie kichert. Hör auf zu kichern, schreie ich. Du hast meine Freundschaft kaputt gemacht. Ich hasse sie, hasse sie alle.
    Ein paar Wochen später fangen die Sommerferien an. Ich will nicht mit an den Atlantik. Sonst noch Wünsche, sagt Vater.
    Komm, wir gehen baden, ruft Lydia und will mich aus dem Sand hochziehen. Lass mich, fauche ich. Sind die Wellen nicht zu hoch?, fragt Mutter. Vater liegt im Liegestuhl, er antwortet nicht. Es weht keine rote Fahne, ruft Lydia, außerdem baden ganz viele. Allein gehst du nicht, sagt Mutter, das ist zu gefährlich. Komm du mit, wenn Franka nicht will, quengelt Lydia. Franka, bitte, seufzt Mutter, mir ist heute nicht nach Baden. Widerwillig stehe ich auf und laufe zum Wasser hinunter. Lydia rennt hinter mir her. Tut so, als sei nichts gewesen. Sie quietscht und lacht und spritzt mich nass. Für mich ist sie Luft. Nie mehr werde ich mit Lydia über irgendwas lachen. Ich tauche durch die erste Welle hindurch, komme wieder hoch, sehe, wie Lydia sich in eine Welle wirft. Sie hat erst im letzten Sommer schwimmen gelernt, aber Wellen haben ihr noch nie Angst gemacht. Prustend taucht sie wieder auf, schreit mir etwas zu. Da trifft sie die nächste Welle. Ich schwimme zu ihr rüber, fasse sie an den Schultern. Und dann drücke ich sie runter. Die Welle schlägt über mir zusammen, aber ich lasse sie nicht los. Sie tritt mich in den Bauch. Ich lasse sie nicht los. Ich kriege wieder Luft. Plötzlich reißt der Sog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich schlucke Wasser, schlage auf dem Kopf auf, werde ans Ufer geworfen. Alles tut mir weh. Mutter steht im Wasser. Sie hält Lydia in den Armen. Lydia hustet und spuckt und zeigt mit dem Finger auf mich. Franka hat mich unter Wasser gedrückt! Du spinnst ja!, schreie ich. Es waren die Wellen! Was meinst du, wie die mich erwischt haben! Lydia starrt mich an. Du wolltest mich umbringen! Lydia, so was darf man nicht sagen, ruft Mutter zu meinem Erstaunen. Vater kommt dazu. Was soll das Geschrei? Kann ich nicht mal in meinem schwer verdienten Urlaub meine Ruhe haben? Franka wollte mich umbringen!, ruft Lydia. Vater wendet sich kopfschüttelnd ab und geht zu seinem Liegestuhl zurück. Und Mutter schreit, dass Lydia aufhören soll, so einen Blödsinn zu reden. Ich kann es kaum fassen, aber Mutter glaubt tatsächlich mir und nicht Lydia.

21.
    J an hat uns zum Essen eingeladen. Als ich Merle nach der Schule davon erzähle, hüpft sie vor Freude auf und ab und klatscht in die Hände. Ich gehe in die Hocke, sie umarmt mich, reibt ihre Nase an meinem Hals. Das macht sie sonst nur bei ihrer Mutter.

    Jans Mitbringsel für Merle. Ein Wollpulli, weich, himbeerrot, mit einem kleinen

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