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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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»Keineswegs!« sagte – und das fahrige Einver ständnis zwischen ihnen, so wie der Kick und Auftrieb vom Alkohol, ungebrochen, ja, stärker noch als bei ihrer ersten Begegnung, ließ sein Herz wieder höherschlagen. Es war fast so, als könnte Peter Gedanken lesen, als wüsste er, was er in Pauls Tagträumen getan hatte, in dem Badezimmer, in der Junggesellenwohnung. Und jetzt dieser Durst, das leichte Kopfweh und ein leiser Zweifel – der sich regte wie die kühlende und belebende Luft, die zwischen den Hecken vor ihm aufströmte und wieder abzog. Von der großen Rasenfläche hinterm Haus, auf die man Tische und Stühle gestellt hatte, vernahm er das fröhliche, etwas zänkische Stimmengewirr von fünfzig bis sechzig Personen. Irgendwo dazwischen steckte Peter, bei der Familie und den Freunden, betrank sich gut gelaunt – Peter-Rowe-mein-Schätzchen, ganz von sich eingenommen. Bestimmte Züge an ihm, die Paul nicht mochte, traten undeutlich ans Licht. Schwärmte er wirklich für ihn, jetzt, da er ihn wiedergetroffen hatte? Konnte er sich wirklich vorstellen, sich vor diesem tapsigen Internatslehrer nackt auszuziehen? Er dachte wieder an Geoffs enge Hose, an den schönen Dennis Flowers im King Alfred’s in Wan tage, Kapitän der Kricketmannschaft, kein Lehrer, sondern ein Junge. Plötzlich unfassbar trübsinnig starrte Paul auf das Stück Straße vor dem Tor, sah die Schlaglöcher im Kalkboden, die verdorrten Grasbüschel, das robuste, einigermaßen hübsche Kreuzkraut, knotig, mit gelben Blüten, das an dem Bankett wuchs. Dann schlug die Kirchturmuhr halb neun, zwei helle Töne mit einem ungewöhnlich langen Intervall, die ihn in absolutem Gleichmut aufforderten, sich sofort ins Haus zu begeben.
    Aufgeregt trat er hinaus auf die Terrasse, wo der Tisch mit den Getränken stand. Alle hier hatten ihn vorher schon gesehen, aber niemand wusste, wer er war. Kopfnicken und Neugier, gepaart mit etwas Kühlerem, schlugen ihm entgegen, als er sich zwischen den gesitteten und grauhaarigen Herrschaften bewegte. Einige Frauen aus dem Bell, in schwarzen Kostümen, weißen Schürzen und Häubchen, hatte man als Kellnerinnen engagiert; sie schöpften ihm frischen Fruit Cup ins Glas, und die hineinplumpsenden Orangen- und anderen Obststücke hatten etwas Komisches. »Wollen Sie mehr Früchtchen?«, fragte die Frau. »Nein, nur Flüssiges, bitte«, sagte Paul, und alle lachten.
    Weiter hinten auf dem Rasen sah er Peter im Gespräch mit einer Frau in einem eng anliegenden grünen Kleid; er bat sie, sein Glas zu halten, während er eine Zigarettenpackung aus der Tasche fischte und ungeschickt damit hantierte, doch dann streckte die Frau ihm wie gebannt das Gesicht entgegen, dankbar für das hingehaltene Feuerzeug. Paul ging auf sie zu, hörte den glucksenden Fluss von Peters Stimme, das ungeduldige Murmeln, als er sich auch eine Zigarette anzündete, sah, wie sie gemeinsam über etwas lachten, den Kopf zurückwarfen und den Rauch ausstießen. – »Was? Sie meinen, im zweiten Akt?«, sagte Peter. Jetzt stand er fast direkt vor ihnen, lächelte dünn und angespannt, blieb aber auf fast gespenstische Weise unbemerkt und war auf einmal nicht mehr sicher, ob seine Anwesenheit überhaupt erwünscht war. Unverzüglich schlich er sich davon, sein Lächeln jetzt gekränkt, zerstreut, ließ sich zwischen den schwatzenden Gruppen treiben, sah sich um, als suchte er jemand Bestimmtes, und fand sich plötzlich ganz allein im toten Winkel neben einem hohen Pampasgrasbusch. Wiederholt nippte er an seinem Fruit Cup, der ihm längst nicht mehr so stark vorkam wie beim ersten Glas. Er wunderte sich über seine eigene Schüchternheit, aber redete sich ein, dass seine kleine Flucht von vorhin so rasch erfolgt war, dass sie sich ohne Weiteres rückgängig machen ließ. Die Gespräche um ihn herum waren ein Potpourri der Absurdität. »Ich glaube, mit Geraldine wirst du das nie«, sagte die ihm am nächsten stehende Frau zu einem zerknitterten Mann, der Paul mit seinem Ellbogen beinahe das Glas aus der Hand gestoßen hätte. Hier konnte er unmöglich bleiben. Durch einen vorübergehenden Spalt zwischen den sich wiegenden und verschiebenden Rücken der Gäste sah er plötzlich Mrs Jacobs in der Mitte des Rasens, ihr blaues Kleid, ihre dunkelrote Halskette, und als sie sich umdrehte, ihre schimmernden Brillengläser, ihr Gesicht wie im Spotlight – dies war ihr Fest. »Wir können doch diesen jungen …!« Corinna Keeping, in Rot und Schwarz,

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