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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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nungen damit verknüpften – Lady Adeline zum Beispiel, und der alte Brigadegeneral Aston in Uffington, der seine drei Söhne verloren hatte. Meine Frau und ich begriffen jedoch rasch, welche Macht Mrs Aubrey über meine Mutter besaß, und wir bedauerten das. Eingestreut zwischen die offenbar eher zufälligen Buchtests waren andere Tests, die so demonstrativ konkret waren, dass wir Verdacht schöpften (meine Mutter natürlich noch stärker überzeugten). Einmal führte uns der Test zu einer Ausgabe der Westminster Review, die ein Gedicht von Cecil enthielt, darin die Zeilen: »Du warest hier, und ich in Alpen fern – und doch / Roch ich den Maienduft von Englands Rosen noch.« Er hatte es einem Mädchen aus Newnham gewidmet, auf das er ein Auge geworfen hatte, für meine Mutter dagegen war es eine passende Parabel auf das Jenseits. Bei einem anderen Test ergab sich eine Zeile von Swinburne, einem Dichter, den meine Mutter bislang immer abgelehnt hatte: »Ich kehre zurück zur großen guten Mutter.« Dass damit der Ärmelkanal gemeint war, schien sie nicht zu stören. Sie war es gewohnt, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten und ihre Ansprüche befriedigt zu bekommen; wenn es nicht so erbärmlich gewesen wäre, hätte ich, Woche für Woche konfrontiert mit den nichtssagenden Ergebnissen dieser modernen Form der Sortes Vergilianae, über das Spektakel ihrer Sturheit nur lachen können. Einmal hatte sich meine Frau erkühnt, ihre Schwiegermutter zu fragen, wa rum Cecil, wenn er ihr mitteilen wolle, »Die Liebe währet immer«, sich nicht einfach Lara gegenüber in diesem Sinn äußere, statt seine Mutter auf eine Schnitzeljagd durch die Bibliothek zu schicken. Es war nur eine von vielen Bemerkungen, die die Jüngere als zukünftige Herrin auf Corley in den Augen der Älteren disqualifizierte.
    Meine Frau und ich lebten bis zum Tod meines Vaters in Naughton’s Cottage, es war uns daher nicht möglich, diese Aktivitäten irgendwie einzuschätzen, geschweige denn zu kontrollieren. Unser Misstrauen nahm allerdings zu und drohte eine Zeit lang das häusliche Leben auf Corley, durch den Krieg ohnehin arg belastet, ganz zu verderben. Mrs Aubrey war so klug, einige Male danebenzuzielen; ein Test zum Beispiel führte zweifelsfrei zu einer Seite mit quadratischen Gleichungen, die selbst meine Mutter beim besten Willen nicht zu deuten wusste. Doch die Häufigkeit ersprießlicher Binsenweisheiten nahm so drastisch zu, dass wir uns allmählich fragten, ob es nicht einen Komplizen im Haus gab, ein Küchenmädchen oder einen Diener, der ihr sagte, wo bestimmte Bücher standen. Bei einer Gelegenheit war das fragliche Buch nicht an seinem Platz – eine Tatsache, die selbstverständlich als Beweis dafür galt, dass Cecils wachsamen Augen nichts entging. Ich nahm Wilkes, der während des Krieges zum Butler aufgestiegen und über jeden Verdacht erhaben war, in die Pflicht; doch seine diskreten Nachforschungen beim Personal lieferten kein Ergebnis. Einmal spielte ich ihnen einen Streich, und ich weiß nicht, ob es mir peinlich oder ob ich stolz darauf sein soll. Um zu kriegen, was ich wollte, oder auch nur, um jemandem im Weg zu sein, hatte ich gelernt, meine Gehbehinderung gezielt auszuspielen. In diesem Fall riss ich meiner Mutter Mrs Aubreys Brief aus der Hand, humpelte so schnell ich konnte durch den Raum, wie ein beflissener Verkäufer, der nach einer bestimmten Teepackung sucht, stellte mich so hin, dass ihr der Blick auf die Regale versperrt blieb, rief: »Das vierte Buch im zweiten Regal, Mama« und griff willkürlich nach einem Buch im Regal darüber. Das Buch habe ich vergessen, aber der Satz hat sich mir eingeprägt: »Seine Flugunfähigkeit führte zu seiner Ausrottung.« – Ich glaube, es ging um den Riesenmoa – »Was meint er bloß damit?«, zerbrach sich meine Mutter über diese niederschmetternde Darwin’sche Äußerung meines Bruders den Kopf. Ach, wenn Cecil doch nur hätte fliegen können, wie anders wäre alles gekommen!
    Von Anfang an fragte man sich natürlich, was eigentlich für Mrs Aubrey dabei heraussprang, und allmählich wurde klar, dass sie Schecks über Summen empfing, die alles übertrafen, was meine Mutter zusammengenommen für karikative Zwecke ausgab. Mrs Aubrey hatte eine reiche alte Dame dorthin gebracht, wo sie sie haben wollte, ein Opfer, das nichts sehnlicher wünschte, als betrogen zu werden. Doch dann, kaum merklich, Schritt für Schritt, schien meine Mutter von der Sache abzulassen; sie

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