Fremden Kind
erwähnte sie kaum mehr, machte fast so etwas wie ein Geheimnis daraus – nicht aus den Tests, sondern dass sie damit aufhörte; stillschweigend hatte sich Zweifel gegen schmerzliche Sehnsucht durchgesetzt. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt, als mein Vater seinen Schlaganfall hatte, hatten die Tests ganz aufgehört. Die von einer sehr energischen Persönlichkeit allen anderen auferlegte merkwürdige ängstliche Scheu verhinderte, dass wir Fragen stellten. Sie erlangte weitgehend ihre trockene Heiterkeit zurück, die so typisch war für sie vor dem Krieg. Aufwendung und Engagement für ihre guten Werke verdoppelten sich. Mit einem unpässlichen Mann an ihrer Seite verlangten ihr jetzt die mit einem großen Anwesen verbundenen Alltagssorgen die Kraft ab, die in letzter Zeit für die Bewältigung der Vergangenheit draufgegangen war. Sie vergaß nicht, weiterhin jeden Morgen ein paar Minuten in der Kapelle, allein mit ihrem Erstgeborenen, zu verbringen, doch der Kummer selbst hatte seinen Verlauf genommen.
Aufgeregt las Paul diese Passage noch mal und dachte daran, wie gut es seinem Projekt tun würde, wenn er auch Nachrichten von Cecil erhielte. Im Anhang der Briefsammlung deutete G. F. Sawle an, dass die Zettel mit den Buchtests noch existierten und im Valance-Familienarchiv lägen. Sogleich sah Paul ein locker verschnürtes Bündel in einem verschlossenen alten Sekretär vor sich, so wie in den Aspern-Schriften . George erwähnte sie eher abfällig, hauptsächlich als Beleg für den Spiritismuswahn während des Ersten Weltkriegs. Pauls Ausgabe der Schwarzen Blumen war das alte rote Penguin-Paperback von 1957, und er sah sich noch mal das Foto des Autors auf der Rückseite des Einbands an – eine finster spöttische Miene im Passbildformat. Darunter die etwas weitschweifige und umständlich geschriebene Biografie:
Sir Dudley Valance wurde 1895 als jüngster der beiden Söhne von Sir Edwin Valance, Bt, auf Corley Court in Berkshire geboren, besuchte das Wellington College, studierte englische Sprache und Literatur am Balliol College in Oxford und legte 1913 das Honour-Moderations-Examen ab. Bei Ausbruch des Krieges schloss er sich dem Wiltshire-Regiment an (Duke of Edinburgh), stieg sehr rasch zum Captain auf, konnte jedoch nach einer Verwundung in der Schlacht bei Loos im September 1915 nicht in den aktiven Dienst zurückkehren. Seine Kriegserlebnisse schildert er sehr eindrücklich in dem vorliegenden Buch, das hauptsächlich in den Zwanzigerjahren entstand, aber erst zwanzig Jahre später veröffentlich wurde. 1922 erschien sein viel beachteter erster Roman Die lange Galerie . Als satirischer, in einem Landhaus angesiedelter Roman in der Tradition Peacocks wirft er einen genussvollen wie gnadenlosen Blick auf drei Generationen der Familie Mersham und fügt dem großartigen Reigen der komischen Figuren in der englischen Literatur den chauvinistischen General Sir Gareth »Jo-Boy« Mersham und dessen pazifistischen Enkel Lionel hinzu. 1925, nach dem Tod des Vaters, folgte Dudley Valance, dessen älterer Bruder im Krieg gefallen war, als Baronet auf Corley Court. Als erneut Krieg ausbrach, wurde Corley Court als Militärlazarett requiriert; 1946 hielt Sir Dudley es für das Beste, den Familiensitz zu verkaufen. Er war der Ansicht, England sei ein anderes Land geworden; seitdem leben er und seine Frau die meiste Zeit des Jahres in ihrem wehrhaften Haus aus dem 16. Jahrhundert nahe Antequera in Andalusien. Ein weiterer Band seiner Biografie, Die Wälder verrotten, erschien 1954. Sir Dudley Valance ist Mitglied der Royal Society of Literature und Vorsitzender der British Friends of Sherry.
Die Versammlungen dieser beiden Gruppen stellte sich Paul ziemlich ähnlich vor. Sir Dudley hätte er beinahe kennengelernt, jedenfalls hatte er sich auf Daphnes siebzigstem Geburtstag, beim Autoeinweisen draußen auf der dämmrigen kleinen Straße vorm Haus auf seinen Besuch eingestellt – und erinnerte sich auch an seine (offenbar von allen Anwesenden geteilte) Erleichterung, als er doch nicht aufkreuzte. Jetzt gehörte er zu den Menschen, die er unbedingt sprechen wollte oder sogar musste – doch jetzt, nach der Lektüre seiner Bücher, mit dem ausgedehnten, entnervten Porträt seiner Mutter, der merkwürdigen Kühle gegenüber seinem Bruder Cecil, den er eindeutig für überschätzt hielt, hatte er noch größere Angst vor ihm. Es war eine männliche Prosa – aus dem Blickwinkel der Siebzigerjahre, als vieles an die Öffentlichkeit
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