Fremden Kind
folglich an demselben Ort auf wie die von ihm persönlich geschriebenen Briefe. Hier ein Beispiel, bei dem meine Frau und ich zufällig auch anwesend waren.
Hier spricht Lara: Eine Botschaft für Cecils Mutter. Sie ist in der Bibliothek. Wenn man hereinkommt links, auf einem schmalen Regal, vor der Ecke, vom Boden aus das dritte Regal, das siebte Buch. Cecil sagt, es sei ein grünes Buch, mit viel Grün auf dem Umschlag oder im Buch selbst. Seite 32 oder 34, eine Seite, auf der nur sehr wenig steht, aber das Wenige ist die besondere Nachricht für sie. Er sagt, dass er sie liebt und immer bei ihr ist.
Dieser letzte Satz, der, geringfügig verändert, am Ende fast aller Nachrichten stand, wurde offensichtlich von dem Medium hinzugefügt, zur Beruhigung. Der Rest der Nachricht, auch das war typisch, sollte den Eindruck von Genauigkeit erwecken, war aber in Wahrheit mehrdeutig. Zum Beispiel hatte die Bibliothek drei Türen; die am häufigsten benutzte war die von der Eingangshalle, die zwei kleineren gingen auf der einen Seite in den Salon, auf der anderen ins Frühstückszimmer. Je nachdem hätten die Anweisungen also zu drei verschiedenen Stel len geführt. Das Frühstückszimmer war das Allerheiligste meiner Mutter, und sie hatte keine Zweifel, dass Cecil sie durch diese Tür in die Bibliothek geschickt hatte. Mein Vater dagegen, der abends häufig vom Salon aus in die Bibliothek ging, hätte folglich die genau entgegengesetzte Position eingenommen; doch hier, wie in so vielen anderen Dingen, überließ er meiner Mutter den Vortritt. Dennoch herrschte in diesem speziellen Fall eine gewisse Unsicherheit, wie ich mich erinnere. Die Wegbeschreibung zu dem schmalen Regal links, vor der Ecke, wie es hieß, war sehr allgemein, unter anderem deswegen, weil die nächste Ecke die Zimmerecke am anderen Ende des Raums war. Auf jeden Zettel notierte sich meine Mutter Autor und Buchtitel und natürlich das gesuchte Zitat. In diesem Fall hatte sie geschrieben: »Schmales Regal, 7. Buch, Wingfields Charity hat kein Grün. Andere Seite versucht, bei Eintritt vom Salon aus, Bunning, Geschichte Lancashires , kein Grün. Eintritt von der Halle, 7. Buch von rechts aus gezählt, Das Silbertablett von E. Manning GREENE , auf Seite 34 steht nur: ›und so ließ sich sagen, dass der Ritter heil zurückkehrte und alles gut war, nur dass sein Herz des Abends ausflog zu den Lieben, die er zurückgelassen hatte.‹ Eine echte Nachricht von Cecil.« Aus diesem sorgfältigen Protokoll spricht sowohl ihre natürliche Aufrichtigkeit als auch Leichtgläubigkeit; die Wendung »von rechts aus gezählt« zeigt, dass ihr bewusst ist, dass man Bücher in einem Regal eigentlich von links aus zählt, was jedoch ihrer Überzeugung von der Richtigkeit des Ergebnisses keinen Abbruch tut. Mir scheint, selbst aus ihrer kantigen, unförmigen Handschrift sprechen ihr Starrsinn und ihre Arglosigkeit. Darunter steht, wie immer: »Anwesend:«, und jeder Zeuge bestätigt mit seiner Unterschrift, dass er die höhere Wahr heit anerkennt. »Louisa Valance, Edwin Valance, Dudley Valance, Daphne Valance, 23. März 1918.« (Was die Teilnahme meines Vaters an den Sitzungen betrifft, ist bemerkenswert, dass Laras Nachrichten sich nie auf ihn bezogen – bis dieser Umstand in einem Telefongespräch einmal erwähnt wurde und in der Woche darauf auch eine ausdrücklich für ihn bestimmte Nachricht dabei war.)
Ich spreche scherzhaft darüber, aber aus Abneigung, denn in der Bibliothek herrschte bei diesen Gelegenheiten eine unbeschreibliche, unvergessliche Atmosphäre, die sich zunehmend ausbreitete und danach die Luft in dem ohnehin stickigen Raum noch mehr verpestete. Nach meinem Gefühl hatte es mit der Anwesenheit des Übernatürlichen nicht das Geringste zu tun, eher mit der schmerzlichen Bloßlegung von Hoffnungen und daher auch Ängsten. In der Beziehung war es die Bibliothek, die ich beim Umbau des Hauses von allen Räumen am liebsten entfernt hätte. Der ganze Schwindel, das Herumdoktern an gebrochenen Herzen, all das schien noch in den dunklen Nischen herumzuspuken und einem aus den kleinen geschnitzten Fratzen in den Regalen entgegenzu glotzen. Sie mögen es für merkwürdig und willensschwach halten, dass ich meine Mutter nicht direkt damit konfrontiert habe, worauf ich nur antworten kann, dass Sie meine Mutter höchstwahrscheinlich nicht gekannt haben.
Selbstverständlich gab es auch Freunde und Bekannte, die diese psychologische Quacksalberei duldeten, ja, Hoff
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