Fremden Kind
kam – und schien insofern auch als »schwule« Prosa interessant, auf eine verklemmte englische Art. »Widerlegbar«, wie Dudley sich ausgedrückt hätte. Man konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass seine Beziehung zu dem Soldaten, dessen tödliche Wunde dem Buch seinen Titel gegeben hatte, weitaus leidenschaftlicher gewesen war als seine Ehe mit Daphne Sawle. Die Biografie auf dem Umschlag des Penguin-Taschenbuchs war eine Mischung aus Offenheit und Ausflüchten; von den beiden Figuren, die Paul am meisten interessierten, wurde Cecil nur indirekt genannt, und von der ersten Lady Valance konnte man den Eindruck haben, sie habe nie existiert. Woraus folgte, dass auch ihre beiden Kinder nicht existierten. In dem Buch selbst kamen sie so gut wie nicht vor. Gegen Ende fand sich ein Satz, der beinahe ironisch klang: »Mittlerweile Vater von zwei Kindern, begann ich den Familiensitz Corley mit anderen Augen zu sehen« – zum ersten Mal werden Corinna und Wilfrid erwähnt.
Dudley war der Erste gewesen, dem Paul geschrieben hatte, über seinen Agenten, doch war der Brief, ebenso wie der andere kurz danach an Daphne, unbeantwortet geblieben, was ihn sehr verunsicherte. George Sawle musste eben falls kontaktiert werden, doch aus irgendeinem dumpfen Gefühl von Konkurrenz und Unzulänglichkeit hatte Paul es immer wieder aufgeschoben. In dieser Phase seines Projekts sah er nur einzelne, verstreute Anhaltspunkte vor sich, einen Archipel aus Dokumenten, Bildern und einigen wenigen Fakten, die ihn in seinem Glauben bestärkten, er sei dazu berufen, Cecil Valances Biografie zu schreiben. Sawles verspätet erschienene Ausgabe der Briefe, in ihrer trockenen wissenschaftlichen Art, hatte ihm viel Arbeit abgenommen. Dieser Band stand zusammen mit einem kleinen Handapparat in Pauls Regal in Tooting Graveney; bei manchen Büchern war die Verbindung zum Thema zwar nur marginal, aber magisch, und da, wo Cecil bloß in einer Fußnote auftauchte, hatte er am stärksten den Eindruck, einem Geheimnis auf der Spur zu sein.
Vor sich sah er jetzt den eingerissenen und mit einem Klebefilm zusammengehaltenen Umschlag von Winton Parfitts Sebastian Stokes: Ein Doppelleben; die schwarzen Notizbücher im Quartoformat, in die er mit Bleistift in der British Library den Briefwechsel zwischen Cecil und Elkin Mathews, dem Verleger der Nachtwache, übertragen hatte; und ein als Privatdruck erschienenes, steif gebundenes Register der im Ersten Weltkrieg gefallenen Ehemaligen des King’s College, das so berauschend nach Klebstoff roch. Sir Edwin Valances Rinderfutter und Rinderpflege (1910), das gerade in seiner Sperrigkeit etwas Geheimnisvolles offenbarte, hatte er mal für 25 Pence an einem Bücherkarren in der Farringdon Road erstanden. Fehlen durften natürlich auch nicht die beiden »Galerien«, Dudleys Roman von 1922, dessen Schilderung der gestörten Familie Mersham sicher Parallelen zum Hause Valance aufwies, und Daphnes kürzlich erschienene Erinnerungen.
Auch Winton Parfitt hatte er geschrieben und ihn ohne Umschweife gefragt, ob ihm irgendwelches Material über Stokes’ Beziehungen zu Cecil bekannt sei, das seit Erscheinen seines Buches vor zwanzig Jahren aufgetaucht wäre. Der Untertitel Ein Doppelleben bezog sich leider nur auf Stokes’ Betätigungsfelder als Literat und diskreter Tory-Mittler. An keiner Stelle offenbarte Parfitt seinen Lesern, dass Stokes schwul war, oder zog den Pauls Ansicht nach naheliegenden Schluss, dass er in Cecil verliebt gewesen war. Dessen geschwätzige Erinnerungen an den »fröhlichen« und »prachtvollen« jungen Dichter, der alten Lady Valance nach dem Mund geschrieben, waren für sich genommen schon ein heimlicher Liebesbrief. Parfitt war im Grunde genauso eine taktiererische Klemmschwester wie der alte »Sebby«, und der königsblaue Umschlag seiner ziegeldicken Biografie, mit griffigen Zitaten aus den Lobeshymnen der führenden Rezensenten bedruckt, fand sich heute unter den üblichen Ladenhütern, die alle modernen Antiquariate zwangsläufig gleich aussehen ließen. Das Buch war tatsächlich »prachtvoll« – ein »Ereignis«, ein »Meilen stein«, ein »Liebesdienst« –, aber gleichzeitig verschmockt und daher mittelmäßig. Für Paul war es ein abschreckendes Beispiel. Trotzdem hatte er einige Seiten gelesen. Zum Beispiel fand sich darin ein kurzer Absatz über Stokes’ Besuch bei den Valances, um Material für seine Biografie zu sammeln, der jedoch durch die hektischen Verhandlungen im
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