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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Aushänge in den Glaskästen zu lesen, auf denen sein gespiegeltes, etwas einfältig grinsendes Gesicht schwebte. Der alte Mann blieb reglos stehen, stach nur ab und zu mit der Gummispitze seines Stocks auf die Gehwegplatten ein; er war offensichtlich jemand, für den immer alles getan wurde. Paul räusperte sich, ging hin und her und suchte nach Worten. Durch das Innenfenster der Pförtnerloge, vor der dunklen Wand aus Postfächern, sah er eine Frau mit dem Pförtner reden. Das musste Linette sein – volles, steifes Haar in einem künstlichen Kastanienbraun, das sich gut mit dem hochgeschlagenen Kragen ihres Fuchspelzjäckchens vertrug. Ein markant geschnittenes, attraktives Gesicht, sorgfältig geschminkt; und ihre Art, mit angespanntem Lächeln und Stirnrunzeln Leute für sich einzuspannen, kam Paul bekannt vor. Der Pförtner machte einen kurzen Anruf, trat aus seiner Loge, hielt Linette die Tür auf und brachte ihren Koffer. »Guten Abend, Sir Dudley! Der Master kommt sofort und wird Sie persönlich in Empfang nehmen« – ein Tusch, aus dem Paul eine gesteigerte Ehrerbietung heraushörte, alltägliche Loyalität dem Master und Dienstbeflissenheit dem Gast gegenüber. Damit hatte Linette es unmöglich gemacht, sich ihrem Mann zu nähern, und Paul begab sich zum Tor hinaus zur Broad Street, um nach seinem eingebildeten Freund Ausschau zu halten. Er nahm von der Unterhaltung zwischen den Valances nur ein unverständliches Murmeln wahr. Vor ihm radelten Studenten vorbei, das Universitätsleben entfaltete sich, obwohl Semesterferien waren. Kurz darauf Rufe hinter ihm und keuchendes Lachen, und als Paul sich umdrehte, sah er einen sehr kleinen grauhaarigen Mann im Talar vom Innenhof die Treppenstufen hinaufflattern und seinen Gast begrüßen – nicht gerade wie einen alten Freund, doch auf das solide Fundament eines gegenseitigen Einverständnisses bauend, das ihm aus seinem offenen vergeistigten Gesicht entgegenlächelte. »Sie hätten sich doch nicht persönlich herzubemühen brauchen«, sagte Sir Dudley mit hochmütiger, beinahe herablassender Noblesse, und seine Frau begrüßte ihn mit den Worten: »Guten Abend, Master!«, was trotz aller Unterwürfigkeit zeigte, dass sie ihren Willen bekommen hatte.
    Sie zogen ab, und der Master bot Sir Dudley auf der Treppe seinen Arm als Stütze. »Wann sind Sie noch mal abgegangen?«, fragte er ihn, und Paul hörte: »Neunzehnhundertvierzehn. Ich habe ja keinen Abschluss gemacht … ich habe geheiratet …« Zum Beweis, wie unwichtig akademische Titel doch waren, lachte Lady Valance dem Master zu, vielleicht auch aus Nachsicht, weil eine frühere Ehe erwähnt wurde. Linette und er mussten seit über fünfzig Jahren verheiratet sein, nach seinen knapp neun oder zehn Jahren mit Daphne. An Daphne dachte Paul jetzt mit zärtlicheren Gefühlen als vorher. Was für ein Gegensatz – er stellte sie in ihrem hässlichen Regenmantel mit Hütchen dieser Frau gegenüber, die sich so gut gehalten und noch immer den wiegenden Gang eines Models hatte. Paul beobachtete sie von der Treppe aus. Zwei sportliche Jungen in weißen Rudershorts kamen aus einem Durchgang gestürmt, bremsten und liefen auf der Stelle, um den Master und seinen Gast vorbeizulassen; dann rannten sie weiter, sausten an Paul vorbei durch das Tor auf die Straße. Ausnahmsweise war es mal der alte Mann, der ihn mehr interessierte, seine beinahe wundersame Erscheinung, von den herrischen Stößen mit dem Stock bis hin zu den kläffenden Vokalen. Sie tauchten in einen Torbogen auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofs ein, Dudley als Opfer der Schlacht bei Loos noch immer sichtlich gezeichnet; aber auch andere, weniger fassbare Dinge schienen ihm anzuhaften, berühmte Zeilen seines Bruders in Georgianische Lyrik oder dem Oxford Dictionary of Quotations . Absurd, aber unleugbar: Paul hatte beinahe das Gefühl, Cecil persönlich begegnet zu sein.
    Er ging wie geplant die Broad Street entlang, um sich die Auslagen in den Buchhandlungen anzusehen. Die jungen Ruderer waren in dem sich bereits eintrübenden Licht des späten Nachmittags verschwunden; die Sonne im Westen schlug ihre Strahlen in die Straße, blendete die ihm Entgegenkommenden und erlaubte es ihm, der sich in ihren Augen nur als Silhouette abzeichnete, sie genau zu betrachten. Während er sich bei Blackwell an dem Tisch mit den Biografien herumtrieb, hatte er Dudleys gebückte, dennoch stattliche Gestalt vor Augen, im Ohr seine außergewöhnliche Stimme, mit

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