Fremden Kind
Reiz, waren aber unersprießlich und im Allgemeinen eher abstoßend. Später redete man nicht über sie, aus einem unbestimmten Gefühl der Scham, das sich mit ihnen verband. Man wurde nur wieder nüchtern. Cecil hätte am nächsten Morgen sicher einen Kater, doch den würde er überleben. Ihre Mutter verhielt sich zur Schlafenszeit auch manchmal absurd, war aber beim Frühstück wieder völlig normal. Es wäre falsch, viel Wesens darum zu machen.
Dennoch rückte die ganze Geschichte Cecil in kein gutes Licht, eher ins Zwielicht – eigentlich hatte sich ihr gemeinsamer Umgang zum großen Teil im Dunkeln abgespielt, und wenn sie sein Gesicht überhaupt gesehen hatte, dann im Schein einer glühenden Zigarrenspitze oder im trüben Licht des Vorstadtabends. Als er kam, hatte er sie alle durch seine Vornehmheit, seine durchdringende Stimme, seinen Witz und sein Geld dazu gebracht, sich für ihn ins Zeug zu legen. Und jetzt, während sie sich erneut auf die andere Seite wälzte und verzweifelt um Schlaf rang, fragte sie sich, was wohl George zu dem höchst anstößigen Verhalten seines Freundes sagen würde, wenn er davon erführe. Wieder ging sie in Gedanken die Geschehnisse durch, in der Reihenfolge, in der sie sich zugetragen hatten, um den Schock auch richtig auszukosten.
Sie war nicht naiv, sie wusste sehr wohl, dass sich die Oberschicht widerwärtig benehmen konnte. Vielleicht sollte man George eröffnen, was für ein Mensch sein kostbarer Freund in Wirklichkeit war. Oder sollte sie es doch lieber für sich behalten und sich die Möglichkeit offenhalten, bei einer anderen Gelegenheit mit den Tatsachen herauszurücken? Sehr schnell erschien es ihr erwachsener, keinen Wirbel darum zu machen. Sie dachte an Lord Pettifer aus Das Silbertablett , und während ihr Verstand in den Bruchstücken der Erinnerung der Geschichte nachjagte, sie aufnahm und wieder verlor, schweifte sie wie durch erleuchtete Räume ins verlockende Gebrabbel von Träumen, wachte durch ihr eigenes Stöhnen im Schlaf wieder auf und schlitterte in den nächsten, den siebten oder achten Probedurchlauf ihrer Geschichte, im Garten mit Cecil Valance.
Mit jeder Nacherzählung der Geschichte und des Skandals, den sie zum Kern hatte, beruhigte sich ihr Herz ein wenig; im Gegenzug dafür, bildete sie sich ein, würde die Wirkung, die sie auf George, ihre Mutter oder Olive Watkins haben würde, ihr Zorn und ihre Bestürzung umso heftiger ausfallen. Daphne spürte die Geschichte wie eine warme Flut durch sich hindurchströmen und ihre gesamte Person erfassen, doch mit jedem Mal war die Welle etwas schwächer und ihre Er leichterung über diese allmähliche Veränderung getrübt durch einen Anflug von Entrüstung.
Oder ging es beim Küssen vielleicht genau darum? Es kam ihr eher wie eine kindische Mutprobe vor, die Zunge in den Mund eines anderen zu stecken. Leider hatte sie niemanden, den sie fragen konnte. Ihre Mutter würde sofort Verdacht schöpfen, wenn sie es ihr gegenüber zur Sprache brächte. War es denkbar, dass Hubert schon mal eine Frau auf diese Weise geküsst hatte? George dagegen hätte es sicher mal probiert, falls er eine Freundin hatte. Sie stellte sich vor, wie sie ihn danach fragen würde, und die geheime Tatsache, dass sie es mit seinem besten Freund erlebt hatte, machte die Vorstellung umso pikanter.
Bei all dem blendete sie beinahe bewusst aus, dass er seinen Körper rhythmisch an ihr gerieben hatte. All ihre Gefühle richteten sich auf die lässlicheren und nach allem doch eher läppischeren Freiheiten, die er sich herausgenommen hatte, ihren Mund abzulecken oder ihr Gesäß zu betatschen.
Später musste sie doch geschlafen haben, wie sich zeigte, und der Traum, aus dem sie gerade aufwachte, bewahrte seinen Zauber, während sie mit offenen Augen in der tiefgrauen Dunkelheit lag. Was für ein dummes Kind sie gewesen war, dachte sie. »Kindchen, Kindchen!«, hatte er sie genannt, und er hatte recht. Sie dachte an das, was Cecil sonst noch gesagt hatte, was für ein Vergnügen es ihm gewesen sei, sie kennenzulernen; sie warf sich auf den Rücken, und kühl überlegte sie, ob er sich vielleicht in sie verliebt hatte. Sie blickte zu den schattigen Zonen an der Decke, dem ersten pulvrigen Schimmer des Morgenlichts über den Vorhängen, wie auf ein Abbild ihrer eigenen Unschuld. Was gab es für Anzeichen? Cecil hatte eine besondere Art, sie anzusehen, sogar in Gegenwart anderer, in bestimmten Momenten im Gespräch ihren Blick zu suchen,
Weitere Kostenlose Bücher