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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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sodass nebenher noch eine zweite, wortlose Unterhaltung geführt wurde. So etwas hatte sie vorher noch nicht erlebt, das Forsche und auch das höchst Intime nicht. Gewiss, es war unfair, dass Cecil sich hinter Georges Rücken so aufgeführt hatte, andererseits empfand sie eine prickelnde Genugtuung über die Wahl, die er im Stillen getroffen hatte. Und selbstverständlich musste er so vorgehen, seine Liebe musste verheimlicht werden, und sie musste herauskommen. Cecils Leidenschaft war anrührend und zugleich bestürzend. Großzügig ging sie über das Ungeschick im Garten hinweg und dachte an das gemeinsame Leben, das sie führen würden. Würde er so etwas wie gestern Abend wiederholen wollen? Wenn sie verheiratet wären, wohl nicht. Und eine weitere Perspektive auf erleuchtete Räume eröffnete sich ihr: Sie sah sich unter der Kuppeldecke, oder von ihr aus auch Kassettendecke, von Corley Court sich zum Dinner niederlassen.
    Sie schlief ungewöhnlich lange, verschlief – sich nur kurz räuspernd und brabbelnd – das Trappeln und Rascheln auf dem Flur, die Stimmen unten in der Halle, und als sie schließlich wie benebelt zum Leben erwachte, zeigte ihr kleiner Wecker Viertel vor neun. Ein Moment der Hilflosigkeit, weitere drei Minuten verschlafenes Gähnen, und sie hatte sich eingestellt, hatte sich damit abgefunden, dass etwas fehlte, an das sie sich, wie sie mit Erstaunen feststellte, bereits gewöhnt hatte: Cecils Geräusche im Haus. Natürlich! Er war weg! Die dünne Luft besagte es, die morgendliche Tonlage, das Bewegungsgefüge und die Gesprächsfetzen der Hausangestellten. Mit einem Schlag waren alle ihre Pläne vereitelt, die geistreichen Dinge, die sie ihm hatte sagen wollen, wenn er Horners Lieferwagen bestiegen hätte … Es würde Wochen, vielleicht sogar Monate dauern, ehe sie sich wiedersahen. Seufzend vor Liebesschmerz, wie vor trotziger Erleichterung über diesen tragischen Aufschub, stemmte sie sich aus dem Bett und trat mit dem immer noch empfindlichen rechten Fuß auf.
    Während ihres einsamen Frühstücks, unterbrochen von dem Hausmädchen, das alle paar Minuten hereinkam, um nachzusehen, ob sie fertig war, lief draußen vorm Fenster George vorbei, der Cecil zum Bahnhof gebracht hatte. Sein abwesender leerer Blick verärgerte sie, kaum dass sie ihn wahrgenommen und seine Bedeutung erfasst hatte. Jetzt kam für ihn die Zeit der Nachbereitung – sein Gast, sein erster Gast im Haus, war abgereist; jetzt nahm seine Familie ihn wieder auf und konnte ihm sagen, was sie von seinem Freund hielt. Er wäre launisch und empfindlich, unschlüssig, auf wessen Seite er sich schlagen sollte. Dann erinnerte sie sich an ihr Buch. Was hatte Cecil damit gemacht? Hatte er etwas hineingeschrieben? Wo hatte er es hingelegt? Plötzlich war sie krank vor Wut, Jonah könnte es mit Cecils anderen Büchern eingepackt haben, und jetzt steckte es unerkannt zwischen anderen Büchern in seinem Koffer, in einem Haufen anderer Koffer irgendwo auf dem Bahnhof Harrow und Wealdstone.
    »Oh, Veronica«, sagte sie.
    »Entschuldigen Sie, Miss!«, sagte Veronica.
    »Nein, es ist etwas anderes«, sagte Daphne. »Haben Sie gesehen, ob Mr Valance etwas für mich hiergelassen hat? Ich meine mein Poesiealbum?«
    »Nein, Miss.« Sie knetete, unter vorgetäuschtem Interesse, ihr Staubtuch. »Ist das das Büchlein mit dem Pfarrer drin?«
    »Wie bitte?«, sagte Daphne. »Nun, es sind eine Menge wichtiger Männer drin.« Sie traute der in etwa gleichaltrigen Veronica nicht über den Weg und behandelte sie mehr oder weniger wie ein dummes Mädchen.
    »Ich gehe mal fragen, Miss«, sagte Veronica, doch dann steckte George den Kopf durch die Tür, lächelte bedrückt und sagte: »Cecil sagt Auf Wiedersehen.« Er verharrte an seinem Platz, schnupperte die Atmosphäre, schwankte, ob er seine Schwester weiter am Thema Cecil beteiligen wollte oder nicht.
    »Ich hatte leider eine sehr unruhige Nacht«, sagte sie und war sich ihres erwachsenen Tonfalls bewusst. »Und dann habe ich auch noch verschlafen.«
    »Er ist schrecklich früh aufgestanden«, sagte George. »Du kennst ja Cecil!«
    »Vielleicht hat Mr George es an sich genommen, Miss«, sagte Veronica.
    »Bitte, es ist wirklich nicht wichtig«, sagte Daphne und wurde rot bei der Enthüllung ihrer kleinen persönlichen Sorge.
    »Was soll ich an mich genommen haben?« George war jetzt ebenfalls verunsichert.
    Daphne blieb nichts anderes übrig, als es ihm zu sagen. »Ich habe mich nur gefragt, ob

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