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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Cecil noch dazu gekommen ist, etwas in mein Album zu schreiben, mehr nicht.«
    »Irgendwas wird er wohl hineingeschrieben haben. Cess ist selten um Worte verlegen.«
    »Dann hat er es bestimmt irgendwo hingelegt«, sagte Daphne und strich Butter auf ihren Toast, obwohl die unterdrückte Furcht ihr jeden Appetit genommen hatte. Kühl lächelnd sah sie ihren Bruder an. »Und, was hast du heute vor, George?«, fragte sie und versagte ihm damit bewusst jedes Gespräch über das naheliegende Thema.
    »Was? Ach, irgendwas wird sich schon finden«, sagte er mit einem Anflug von Selbstmitleid. Er lehnte gegen den Türpfosten, weder drin noch draußen, und das Hausmädchen glitt an ihm vorbei in die Halle. Daphne beobachtete, wie er sich dazu durchrang, etwas zu sagen, und als er von oben herab ansetzte: »Ja, schade, dass Cecil nicht länger bleiben konnte …«, unterbrach sie ihn: »Ich habe Olive morgen zum Tee eingeladen. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie aus Dawlish zurück ist.« Olive Watkins fiel natürlich stark ab gegenüber Cecil, so wie Dawlish gegenüber den Dolomiten, und Daphne schämte sich, dass sie sie überhaupt erwähnt hatte; es stimmte sie beinahe traurig, aber auch trotzig. Doch mit George in seiner augenblicklichen Laune konnte sie sich nicht befassen. Zu sehr hätte sie auf ihre eigene abgefärbt.
    »Ach, ja …«, sagte George verdutzt und gelangweilt. Daphne merkte, dass sie eine ganz bestimmte familiäre Stim mung heraufbeschworen hatte, die nach dem weiten Ho rizont, den Cecils Besuch eröffnet hatte, eher bedrückend wirken musste. Außerdem wollte sie endlich ihr Büchlein wiederhaben, um es Olive zu zeigen, was immer Cecil hineingeschrieben haben mochte. Das war der Hauptgrund für die Einladung zum Tee.
    Veronica, in ihrer dumpfen Hartnäckigkeit, kehrte zurück und verkündete: »Ich habe Jonah Bescheid gegeben, Miss. Er guckt noch mal nach.«
    »Danke«, sagte Daphne, die sich durch die beinahe öffentliche Suche bedrängt fühlte.
    »Jonah guckt in seinem Zimmer nach. Ich meine, er guckt in Mr Valances Zimmer nach!«
    George stahl sich ohne ein weiteres Wort davon, und Daphne hörte, wie er ebenfalls nach oben ging, heimlich, wie ihr schien, zwei Stufen auf einmal nehmend. Sie redete sich ein, doch ohne es recht zu glauben, dass Cecil außer Name und Datum sowieso nichts eingetragen hatte.
    Eine Minute später kam George zurück, Jonah ihm auf den Fersen, und hielt Daphnes malvenfarbiges Album aufgeschlagen in der Hand. »Was habe ich dir gesagt, Schwesterchen …«, gab er geistesabwesend von sich, schlug die Seite um und setzte die Lektüre fort. »Er hat dir wirklich alle Ehre erwiesen!«
    »Was ist es?« Daphne stand vom Tisch auf, fest entschlossen, Würde zu bewahren, beinahe gleichgültig zu erscheinen. Also doch nicht nur sein Name; sie konnte erkennen, dass es mehr war, sehr viel mehr – und jetzt, da das Buch hier war, im Zimmer, für alle sichtbar, erschreckte sie der Gedanke, was daraus werden würde.
    »Der Herr hat es in seinem Zimmer liegen lassen«, sagte Jonah und sah von einem zum anderen.
    »Vielen Dank«, sagte Daphne. George blinzelte und biss sich vor Konzentration sanft auf die Unterlippe. Seiner Miene nach zu urteilen, hätte er auch darüber sinnieren können, wie er seiner Schwester eine höchst unangenehme Nachricht beibringen sollte, als er nun auf sie zukam, sich ihr gegenüber hinsetzte, das Buch auf den Tisch legte und zurückblätterte, um noch einmal von vorn zu lesen. »Dürfte ich es auch mal sehen, wenn du fertig bist?«, sagte Daphne schneidend, doch auch widerstrebend respektvoll. Cecil hatte ein Gedicht geschrieben, und für Gedichte brauchte man länger zum Lesen, außerdem war seine Handschrift nicht gerade wie gestochen.
    »Meine Güte«, sagte George und sah mit einem verbindli chen Lächeln zu ihr auf. »Du solltest dich geschmeichelt fühlen.«
    »Ach, wirklich?«, sagte Daphne. »Meinst du?« George schien entschlossen, das Gedicht und seine Geheimnisse voll und ganz zu erfassen, bevor sie auch nur ein einziges Wort davon zu Gesicht bekommen sollte.
    »Ja, das ist wirklich etwas Besonderes«, sagte er und nickte, als er es ein zweites Mal überflog. »Du musst es mir unbedingt überlassen, damit ich es abschreiben kann.«
    Daphne trank ihren Tee aus, faltete die Serviette zusam men, sah kurz zu den beiden Dienstboten, hartnäckige Zeugen ihrer bewegenden Lebenskrise, die vor Freude über die Wie derauffindung des Buches dümmlich

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