Fremden Kind
unterkommen«, sagte Daphne.
»Eigentlich solltet ihr euch eine kleine Bleibe in der Stadt besorgen«, sagte Ralph.
»Wir hatten eine sehr hübsche kleine Wohnung in Marylebone, aber die hat Louisa leider verkauft«, sagte Daphne und wechselte sofort das Thema, ehe es richtig in Gang kam: »Pass auf!« Der Esel zockelte zügig auf sie zu. Sie begaben sich auf die gemähte Seite der Rasenfläche, und sogleich blieben feuchte Grasschnipsel an ihren Schuhen kleben. »Weiß der Himmel, warum sie heute mähen«, sagte sie, konnte dem jedoch auch etwas abgewinnen, wenn auch auf andere Art als ihr Mann – es war die körperliche Arbeit und der Umstand, dass sie einen Betrieb mit zwanzig Hausangestellten leitete.
»Wie geht es Dudley denn nun eigentlich?«, sagte George.
»Ich glaube, ganz gut«, sagte Daphne und blickte hastig zu den Kindern.
»Macht das Buch Fortschritte?«
»Oh, danach frage ich lieber nicht.«
George sah sie seltsam an. »Hast du nicht wenigstens schon mal einen Teil gelesen?«
»Nein, nein.« Sie schlug einen hellen harten Ton an. »Er geht gerade ganz darin auf, die Wände im Haus zu verschalen und die Decken abzuhängen.«
»Ach so, ja, das möchte ich unbedingt sehen«, sagte George, der für künstlerische Gestaltung so viel übrig hatte wie für Kontroversen darüber. »Wie weit treibt er es denn?«
»Ziemlich weit.«
Er lächelte sie scheel an. »Und du hast nichts dagegen?«
»Gegen ein paar Dinge schon. Du wirst sehen.«
»Was meinen Sie, Ralph?«, fragte George. »Für oder gegen die grotesken Geschmacksverirrungen der Viktorianer?« Damit waren sie nach einer kurzen freiwilligen Pause wieder in die Debattierzirkel ihrer Collegezeit zurückgekehrt, wie Daphne gleich erkannte. Die Kinder lächelten geziert.
Ralph überlegte. »Darf man auch irgendwo dazwischenliegen?«, sagte er mit einem sympathischen Schwanken in der Stimme.
»Ich würde schon gerne wissen, warum. Das heißt, wo.«
»Also, mir geht es so«, sagte Revel nach einiger Zeit, »dass mir die Geschmacksverirrungen eigentlich am besten von allem gefallen. Und je grotesker, desto besser.«
»Was? Also nicht St Pancras?«, sagte George. »Und Keble College auch nicht?«
»Als ich St Pancras zum ersten Mal sah«, sagte Revel, »dachte ich, es sei das schönste Gebäude der Welt.«
»Und Sie haben Ihre Meinung nicht geändert, nachdem Sie den Parthenon besucht hatten?«
Revel lief rot an – vielleicht hat er den Parthenon noch nie gesehen, dachte Daphne. »Ich finde, es ist genug Platz auf der Welt für mehr als nur eine Art von Schönheit«, sagte er entschieden und galant.
George ließ die Worte auf sich wirken, schien gar selbst leicht zu erröten. Er hielt inne und wandte den Blick zum Haus: Türmchen und Giebel, in den gotischen Fenstern blendendes Kristallglas, rote, weiße und schwarze Ziegel in einem unruhigen Muster. Um die Öffnungen an der Westseite herum machten sich, wie ein wachsender Zweifel, Kletterpflanzen breit. Daphne dachte, dass sie sich das Haus eigentlich nicht ausgesucht hatte, vielmehr verhielt es sich umgekehrt, und jetzt wäre sie todtraurig, wenn sie es verlieren würde. Sie wandte sich Madeleine zu. »Ich weiß noch, als George zum ersten Mal hier war, Madeleine«, sagte sie. »Als er zurückkam, dachten wir schon, die Schwärmerei für Corley Court würde nie aufhören. Allein die Puddingkuppeldecke im Speisezimmer!« Solche heiteren Bündnisse mit ihrer Schwägerin hatten allerdings selten Bestand – Madeleine lächelte knapp, ihre Treue zu Georges Intellekt war unerschütterlich. »Damals waren es keine Geschmacksverirrungen!«, insistierte Daphne.
George hielt es eindeutig für klüger, über sich selbst zu lachen. »Cecil gefielen sie, und mit Cecil legte man sich nicht an.« Dass er das Haus seiner Schwester lächerlich machte, schien ihn dabei nicht zu stören.
»Verstehe«, sagte Revel in seiner Mischung aus trockenem Witz und Nachsicht, die sich gründlich von Dudleys Humor unterschied. »Dann kennen Sie das Haus wohl sehr gut.«
»Oh ja, sehr …«, sagte George geistesabwesend, möglicherweise brachte ihn die Frage, warum er sich so selten auf Corley Court blicken ließ, in Verlegenheit. »Sie sind zu jung, um Cecil gekannt zu haben.«
»Leider ja«, sagte Revel feierlich und mit einem schwachen Lächeln, da ihm seine Jugend bisher immer zum Vorteil gereicht hatte; alle Artikel in den Magazinen betonten, wie brillant er sei und dabei noch so jung.
»Aber Sie waren doch
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