Fremden Kind
sinken.
»Nein, nicht unbedingt«, sagte George.
»Ich weiß, dass sich Lady Valance ganz besonders freut, dass Sie gekommen sind, Sir.«
»Oh …«
»Ich meine, die alte Lady Valance, Sir, sie vor allem … aber Ihre Schwester gewiss auch!«
»Es ist das Mindeste, was ich für sie tun kann«, sagte George mit der, wie er meinte, nötigen Überzeugung in der Stimme.
»Wo Sie und Captain Valance doch so gute Freunde waren.«
»Ja, ja«, sagte George schnell und einigermaßen streng, wie um gegen die aufsteigende Röte in seinem Gesicht anzureden. »Obwohl, meine Güte, Wilkes, es ist doch alles unendlich lange her.« Er sah sich in der Halle um, mit müder Verwunderung, dass alles noch da war, die Wappenfenster, die blank polierten hohen Lehnstühle, auf die sich hinzusetzen kein Mensch im Traum käme, der riesige Ölschinken, der ein Tal im Hochland zeigte, Langhornrinder, die im Wasser standen. Er erinnerte sich daran, wie er dieses Gemälde bei seinem ersten Besuch betrachtet hatte, und an Cecils Vater, der ihm sagte, was für »ein sehr schönes Bild« das sei und um welche Rindersorte es sich handelte. Cecil hatte hinter ihm gestanden, ihn beinahe berührt, er hatte seine Wärme gespürt. »Ist das nicht die Herde von MacArthur, Pa?«, hatte er gefragt, sein Interesse dabei so lässig und selbstsicher wie seine Heuchelei, und der alte Herr hatte bejaht; sie hatten sich zum Lunch begeben, und Cecil hatte seinem Gast eine Hand ins Kreuz gelegt. »Aber natürlich erinnere ich mich an alles«, sagte George und führte in seiner Verlegenheit sogar noch weiter aus: »Das schottische Gemälde werde ich nie vergessen.« Das Bild hätte langweiliger nicht sein können, dennoch war es beredt; irgendwie schienen die trinkenden Rinder Sir Edwins naive Unkenntnis über das, was sein Sohn so trieb, zu verkörpern.
»Ah ja, Sir«, sagte Wilkes, um zu bekunden, dass es auch ihm etwas bedeutete. »Sir Edwin mochte ›Loch Galber‹ sehr. Er hat oft gesagt, es sei ihm lieber als der Raffael.«
»Ja«, sagte George, und war sich unschlüssig, ob Wilkes’ in liebevollem Andenken gerunzelte Stirn eine Bestätigung der allgemeinen Meinung über den Raffael sein sollte oder nicht. »Ich finde, Mr Stokes sollte Sie ruhig auch nach Cecil befragen, Wilkes, wenn er schon hier ist.«
»Oh, davon war bisher nicht die Rede, Sir.«
»Tatsächlich? Sie haben ihn wahrscheinlich besser gekannt als wir alle zusammen.«
»Das stimmt, Sir, jedenfalls in mancher Hinsicht«, antwortete Wilkes bescheiden, und in seinem Zögern lag noch etwas anderes, eine verschwommene Vorstellung von all den Menschen, die der Illusion nachhingen, Cecil am besten von allen »gekannt« zu haben.
»Lady Valance hat beim Lunch deutlich gemacht, dass sie sich ein vollständiges Bild seiner Kindheitsjahre wünscht«, sagte George etwas pompös. »Sie hat ein Gedicht, das er mit gerade einmal drei Jahren geschrieben hat, glaube ich …«
Wilkes’ rötliches, aufmerksames Gesicht nahm den Gedan ken an diesen neuartigen Dienst, der sicher äußerst delikat werden würde, auf. »Natürlich habe ich noch vieles in Erinnerung«, sagte er einigermaßen skeptisch.
»Wissen Sie, Wilkes, Cecil hat immer mit großer … Bewunderung von Ihnen gesprochen«, sagte George und schob das Wort nach, das er sich eben verkniffen hatte: »und Zuneigung.«
Wilkes murmelte halbherzig dankbar etwas, und George senkte für einen Moment den Blick, bevor er sagte: »Ich bin der Ansicht, dass wir Mr Stokes alles sagen sollten, was wir sagen können. Es bleibt ihm überlassen, welche Details er verwendet und welche nicht.«
»Es gibt wohl kaum etwas, was ich Mr Stokes nicht mit Freuden mitteilen würde, Sir«, sagte Wilkes mit einer Herzlichkeit, die fast an einen Vorwurf grenzte.
»Ja, ja«, sagte George, »sicher, sicher …« Dieses artige Herumreden um eine unaussprechliche Wahrheit machte ihn nervös. »Aber ich will Sie nicht aufhalten!« Mit einem Schniefen und einer knappen Verbeugung, womit er unbeabsichtigt den Butler nachäffte und plötzlich erneut rot anlief, duckte er sich durch die Tür, schloss sie leise hinter sich und trat den Weg durch den langen Korridor an.
Seltsame Empfindungen löste dieser Korridor aus. Er durch schritt ihn mit dem natürlichen Recht eines Gastes, eines leicht beschwipsten Erwachsenen, der sich hier ungezwungen bewegen konnte, und doch zugleich atemlos, überwältigt von den wiedererwachten Gefühlen, die er bei seinem ersten Besuch vor
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