Fremdes Licht
aus Vergeltung zu töten, war verboten. Aber
nicht, ihn zu martern, solange er lebte.
Ayrid bekam plötzlich ein Bein frei, riß ihr Knie hoch
und traf den Mann mitten in den Unterleib. Der Mann jaulte vor
Schmerz. Sie nutzte die Überraschung, wand ihre Arme aus dem
Griff des anderen und warf sich herum.
Sie kämpfte – die Glasbläserin kämpfte.
Blindwütig, verbissen – sie hatte nicht die geringste
Chance, auf die Beine zu kommen und fortzurennen – aber sie kämpfte. Später, nachdem Jehanna sich gründlich
den Kopf zerbrochen hatte, da ging ihr auf, daß sie einfach
einen Bogen um die drei gemacht und den beiden Jeliten ihren
delysischen Spaß gelassen hätte – hätte Ayrid
sich nicht mit dem Mut der Verzweiflung gegen ihr Schicksal gewehrt.
Statt zu flennen und zu betteln, hatte diese Frau gekämpft! Sie hatte etwas getan!
Und weil die Frau etwas tat, weil sie sich nicht ergeben wollte,
und weil Jehanna nichts für Talot tun konnte, und weil keine
Wand in dieser beschissenen Stadt so war wie sie sein sollte, und
weil Hilflosigkeit etwas war, das Jehanna verrückt machte –
deshalb hob sie das Kugelrohr.
Der Mann, der Bekanntschaft mit Ayrids Knie gemacht hatte, packte
ihr rechtes Bein, während der andere sie bei den Schultern
packte. Der erstere umspannte mit der Rechten ihr Knie und mit der
Linken ihren Fußknöchel und drehte sie mit einem heftigen
Ruck auf den Rücken, umspannte dann beide Fußknöchel
mit einer Hand, grapschte mit der anderen nach dem Stein und holte
aus. Der Schlag galt ihrem rechten Schienbein. Jehanna konnte
hören, wie es brach, und Ayrid begann zu schreien.
Jehanna stürzte vor. »Aufhören! Sofort!«
Der Mann hinter Ayrid starrte Jehanna fassungslos an. Der andere
drehte sich langsam um. Beim Anblick der Kriegerin wurde sein Gesicht
ganz runzlig vor Bestürzung.
»Laßt die Finger von ihr. Verzieht euch, und keine
hastige Bewegung!«
Sie trugen bestimmt keine Waffen – schließlich waren
sie Bürger, keine Krieger. Wortlos, wie es sich für
Bürger gehörte, würden sie einer Kriegerin
gehorchen.
Jehanna sagte: »Die Oberkommandierende hat jedes Töten
untersagt.«
»Wir wollten sie nicht töten«, sagte der, der
zugeschlagen hatte. Seine Bestürzung schlug in störrische
Wut um, die er ängstlich zu vertuschen suchte. Das
nächste Opfer könnte ein Jelite sein, hatte die
Trainingsleiterin gesagt. Aber so war das nicht gemeint gewesen.
Der Mann wiederholte halsstarrig: »Wir hätten sie nicht
getötet.« Jehanna sah, daß Ayrid ohnmächtig
geworden war. Der Knochen ragte weiß aus der blutigen
Wunde.
»Die Oberkommandierende will keinerlei Gewalt«, sagte
Jehanna eiskalt. »Ihr dreht ihr das Wort im Mund herum! Schert
euch zur Kommandohalle und wartet am Nordeingang.«
Der andere Mann hatte offensichtlich Angst, wollte aufstehen und
gehen. Doch der Mann, der Ayrid das Bein gebrochen hatte, legte ihm
die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück; er leckte sich die
Lippen und rührte sich nicht von der Stelle. Jehanna begegnete
seinem Blick.
Jelitische Bürger. Undenkbar, daß sich ein jelitischer
Bürger einem Krieger widersetzte – doch hier, in diesem
verruchten, miesen R’Frow war nichts undenkbar. Was, wenn
die Männer sich ihrem Befehl widersetzten, das zu unterlassen,
was zu allen Zeiten gang und gäbe gewesen war? Was, wenn sie
Ayrid nicht in Frieden ließen? Würde sie die Männer
dann töten? Durfte sie das?
Jehanna blieb kalt. Sie wußte, was sie zu tun hatte.
Töten würde sie die beiden nicht. Aber sie würde sie
genüßlich auspeitschen – nicht töten, aber
auspeitschen, bis sie bewußtlos vor ihren Füßen
lagen. Es war ja nicht so, als ob sie nur jelitische Bürger zu
verteidigen hätte. Jedenfalls nicht nach alledem. Da war immer
noch diese wehrlose delysische Glasbläserin.
Einen Atemzug lang juckte es ihr in den Fingern. Der Halsstarrige
mußte das Zucken ihrer Hand bemerkt haben, denn er griff beim
Aufstehen unter den Tebel und hatte plötzlich ein Gedmesser in
der Hand, das er eigentlich gar nicht dabeihaben durfte.
Aber er war Jelite, und in seinen Adern floß dasselbe Blut
wie in ihren. Er zögerte auch, und in diesem winzigen
Augenblick, da schoß Jehanna nicht etwa mit dem Kugelrohr, auch
nicht mit der Armbrust, aber da schleuderte sie ihre Dreikugel. Das
Wurfgeschoß wickelte sich um die Knie des Bürgers und
riß ihn von den Beinen. Noch während er ins Gras fiel,
zielte Jehannas Kugelrohr schon auf den anderen Mann, dem
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