Fremdes Licht
das
Entsetzen im Gesicht stand und der keinen Mucks machte.
»Nimm sein Messer und wirf es fort, deins auch!«
Er gehorchte. Jehanna fuhr den Gestürzten wütend an:
»Damit hätte ich dir das Bein brechen können –
merk dir das. Du da drüben, wenn dir dein Leben lieb ist, dann
mach, daß du zu den Kriegerhallen kommst. Sag dem erstbesten
Krieger, der dir über den Weg läuft, er soll mit einem
Blauroten hier aufkreuzen. Und sollte niemand kommen, ich hetze dich
wie einen Jonkil, das schwör ich dir.«
Er ging. Jehanna behielt ihn im Auge, bis er außer Sicht
war, dann fesselte sie den Gestürzten an Händen und
Füßen – wobei er sie mit solch verstörter Wut
ansah, daß sie noch einmal kräftig nachzurrte – und
beugte sich schließlich über Ayrid.
Die Glasbläserin kam allmählich wieder zur Besinnung.
Sie wurde ganz weiß um die Nase, und kalter Schweiß trat
ihr auf die Stirn. Sie fand gerade noch Zeit, den Kopf zu drehen,
bevor sie sich übergab. Sie umklammerte krampfhaft Jehannas
Hand. Jehanna zuckte angewidert zurück. Nicht weil die
Delysierin sich übergab, sondern weil sie einen so schlaffen
Griff hatte, den wackligen Griff eines Kindes, das all seine Kraft
zusammennahm, um sich irgendwo festzuhalten. Brauchten
Glasbläser ihre Hände nicht? Talots Hand dagegen, so
kraftvoll und fest…
»Bleib ruhig liegen«, knirschte Jehanna. »Dein Bein
ist gebrochen. Gleich kommt ein Heiler.«
Ayrid versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein Flüstern
zustande. Jehanna beugte sich tiefer hinunter und verstand nur noch
das letzte Wort. »Warum?«
»Warum ich dir helfe?« Jehanna runzelte die Stirn; das
wußte sie selbst nicht. Sie wollte rasch ihre Hand
zurückziehen, doch urplötzlich packte Ayrid richtig zu und
hielt Jehannas Finger fest. Jehanna sagte: »Weil ich Befehle
habe, Delysier. Jedenfalls nicht, weil du es bist!«
»Dahar…« Ayrid verzog das Gesicht vor Schmerz.
»Er muß… muß ihnen dasselbe antun,
was…«
Jehanna starrte sie an. Sie machte sich lustig – die
Schleimschnecke machte sich lustig! Wahrscheinlich wußten
die Delysier noch nichts von Dahars Schicksal, aber die Schnecke war
ihr trotzdem um eine Nasenlänge voraus. Tatsächlich –
dieser Krihundspakt zwang die Jeliten jetzt zum zweitenmal, einen
Jeliten auszuliefern. Pißwarme Scheißstadt – daran
hatte sie gar nicht gedacht! Aber was hatte sie schon groß getan? Indem sie die beiden Bürger gestellt hatte, da
hatte sie ja nur dafür gesorgt, daß Belasir wußte, wer die beiden waren – damit man sie diesen sechs
Krihunden ausliefern konnte – damit Khalid ihnen Gleiches mit
Gleichem heimzahlen – damit er ihnen die Beine brechen konnte.
Und darauf hatte die Schleimschnecke sie erst bringen müssen. Und jetzt machte sie sich lustig!
Jehannas Hand zuckte zum Messer. Sie focht den heftigsten Kampf
ihres jungen Lebens, um Ayrid die Klinge nicht zwischen die Rippen zu
jagen. Damit würde alles nur noch schlimmer werden. Was hatte
sie nur hierher verschlagen, an einen Ort, wo einfach alles, worauf sie trainiert war, alles nur noch schlimmer machte. Aber
sie war hier. Und damit würde alles nur noch schlimmer
werden.
»Ich habe es für Talot getan«, sagte Jehanna laut.
Ayrid war wieder in Ohnmacht gefallen und bekam nichts mehr mit. Der
jelitische Bürger sah Jehanna verständnislos an. Für
Jehanna hatten die Worte etwas Tröstendes, obwohl sie keinen
Sinn machten. Wieso hatte sie Talot geholfen, indem sie Ayrid
geholfen hatte? Jetzt konnten Khalid und seine Schleimer… Egal,
auf irgendeine blöde, ganz vertrackte, schwarzkalte Weise
stimmte es schon; der Anblick dieser anderen Frau, der sie mehr als
einmal aus der Patsche geholfen hatte, erinnerte sie an Talot, und
die Panik, die sich zu einem harten Kloß in ihrer Brust
verdichtet hatte, begann sich ein wenig zu lockern. Sie hatte es
für Talot getan, basta.
Sie vernahm Geräusche und fuhr herum. Ein Bruder und eine
ganz junge Kriegerpriesterin, an der linken Schulter eine Mondsichel
und darüber das Emblem der Doppelhelix, bogen im Laufschritt um
die Halle.
36
Innerhalb der Stadtmauer ertönte das Signal des
Bibliothekshirns. Geds wurden geweckt oder unterbrachen das Essen
oder was immer sie taten, sahen einander an und rückten enger
zusammen. Auf jedem Bildschirm – mit Ausnahme des Schirms, der
das statische Bild der Inselsonde übertrug – erschienen die
gleichen Bilder. Das Bibliothekshirn grollte samtweich und dringlich:
»Signifikante Daten,
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