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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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allgegenwärtigen
Strukturen des Universums nährt, und die es für höchst
überflüssig und gefährlich halten, an diesen
Strukturen herumzumanipulieren. Doch selbst die Verbündeten, die
ihre Gene oder Sinne manipulierten, waren mathematisch-logisch genug,
um dies nicht leichtfertig zu tun. Genmanipulationen durften nie die
Solidarität gefährden; Manipulationen der Wahrnehmung nie
die Einhelligkeit. Solidarität bedurfte der Einhelligkeit, und sie bedurfte einer Evolution, die keine Sprünge
machte, einer Evolution, die sich unendlich langsam durch die Zeit
bewegte…
    Aber was eine primitive, aus Pflanzen gewonnene Droge mit SaSa
gemacht hatte, das spottete jeder Beschreibung.
    Eine primitive Chemikalie hatte das Verhalten der Jelitin
geändert. Keine organische Veränderung, die oft mit einer
Verhaltensänderung einherging, aufgrund einer Genmanipulation
vor oder während der embryonalen Entwicklung – nein, diese
Droge hatte ausschließlich SaSas Verhalten geändert,
während ihr Organismus unverändert geblieben war,
vollkommen unverändert. Das war etwas ganz anderes, als
bloß die Hirnregionen zu stimulieren, die für das
Vergnügen zuständig waren, wie es manche Spezies taten
– etwas ganz anderes, als dem Bioschock entgegenzuwirken. SaSa
war in einen Zustand versetzt worden, in dem sie sich so benahm, wie
zwei andere Menschen wollten, daß sie sich benahm –
zumindest solange sich die Chemikalie in ihrem Körper
befand.
    Das war ein heikles Phänomen. Die ’Geds hatten sich
schwergetan damit, es machte ihr Bild vom Menschen nur noch konfuser.
Gewalttätig, wie die Menschen waren, genetisch variabel,
durchaus mathematisch-logisch, scheinbar geneigt, gegen die
Einhelligkeit und die Solidarität zu agieren, ohne die eine
Spezies keine Zukunft hatte – und dann wurde alles das durch
eine primitive, aus Pflanzen destillierte Chemikalie zur Disposition
gestellt. Und die ethischen Schlußfolgerungen, in denen die
Geds nur die Kehrseite der faktischen sahen, waren erschütternd.
Wie konnte ein Mensch jemals wissen, wer er war? Identität ergab
sich aus dem Verhalten – das war das Fundament der
Naturwissenschaft, der Webkunst und aller anderen bedeutsamen
Aktivitäten des Geistes. Das war das Fundament der Mathematik,
das Fundament der Zahl schlechthin. Wenn das menschliche Verhalten
und die Zugehörigkeit zu einer Spezies zur Disposition standen
– wenn menschliche Solidarität unversehens in Gewalt gegen
das Individuum umschlagen konnte – worauf konnte sich ein
Individuum dann noch verlassen? Nicht auf seine Spezies, nicht auf
seinen Platz in der Welt, nicht einmal auf sich selbst. Alles
zerfloß, verlor die Struktur, die Festigkeit. Die Menschen
waren Treibholz… So etwas einem Mitglied der eigenen Art
anzutun, das war eine Verderbtheit, die man nicht einmal den Menschen
zugetraut hatte.
    Aber an Bord eines Schiffes waren Lebewesen, die man sich
gegebenenfalls durch chemische Mittel gefügig machen konnte,
weit weniger gefährlich als solche, die letztlich nur ihrem
eigenen unberechenbaren Willen gehorchten.
    Wraggaf sagte: »Wir werden viele Versuchsobjekte
brauchen.«
    »Ja. In uns singt die Harmonie.«
    »Viele Versuchsobjekte.«
    »Viele. Sie wird auf immer singen.«
    »In uns…«
    Man mußte den sechs Menschen helfen, mußte sie
beschützen, sie unterrichten und ihnen den Mund
wäßrig machen, um sie so eng an die Geds zu binden,
daß man sie beruhigt an Bord nehmen konnte. Letzteres war eine
heikle Idee – sie durch Anreize zu einer Quasi-Solidarität
zu bewegen –, doch das Bibliothekshirn war einverstanden. Die
sechs waren die Daumen, die ihnen Einblick in die Taktik der
menschlichen Kriegsführung verschaffen würden.
    Und wenn nötig, dann waren bestimmte organische Verbindungen,
die man an hinreichend vielen Versuchsobjekten getestet hatte, die
Daumen, die ihnen, Zugang zu den sechs Probanden verschaffen
konnten.
    Es roch nach Hoffnung.

 
46
     
    Jehanna und Talot saßen an einem Bodentischchen in der Halle
der Kriegerinnen und aßen. Jehanna, die nur dann bemerkte, was
sie aß, wenn ihr die Portion zu klein erschien, schob sich zwei
große Brocken aus dem Eintopf hinter die Zähne, kaute und
leckte sich die Finger ab. Talot fischte sich einen Brocken heraus,
hielt ihn eine Weile zwischen drei ihrer fünf langen, allzu
knochigen Finger und legte ihn wieder zurück. Jehanna runzelte
die Stirn. Talot nahm immer noch ab.
    »Du mußt was essen!«
    »Ich esse ja.« Talot beugte den Kopf

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