Fremdes Licht
Tür sie gerade schlief. Dahar stellte sich vor,
wie sie zusammengerollt auf seinen Kissen lag, und spürte dieses
träge zärtliche Gefühl, das ihn immer noch kirre
machte. Ein zärtliches Gefühl – kein Verlangen. Nicht
diese Nacht. Dazu war er zu müde.
Wenn die Bakterien Bakterien waren, dann hätten die
Antitoxine ihre Vermehrung wenigstens hemmen müssen.
Diese Bakterien waren keine Bakterien.
Was sollten sie sonst sein?
Wände, dachte Dahar. Die Wände unserer Dummheit. Wir
verstehen nichts, wir werden nie etwas verstehen. Im Vergleich zu den
Geds sind und bleiben wir Barbaren.
Aber die Geds kannten auch keine Bakterien, die keine Bakterien
waren.
Er hätte sich am liebsten gleich hier irgendwo ausgestreckt,
ohne sich zuvor noch durch den Korridor auf sein Zimmer quälen
zu müssen, aber er wollte auch neben Ayrid liegen. Er wankte zur
Tür. Doch der Krieger in ihm war auf der Hut. Bevor Dahar die
Tür öffnete, zog er sein Messer und nahm unwillkürlich
die günstigste Position ein, um einen Angriff abzuwehren.
Im Korridor, gleich neben der Tür, kauerte SaSa. Sie
schlief.
Ihr Daumen paßte auf das Schloß von Ayrids Zimmer, und
da schlief sie auch normalerweise, doch sie betrat Ayrids Zimmer
erst, wenn sich Dahars Tür hinter Ayrid geschlossen hatte. Wenn
SaSa irgendwie aus dem Unterrichtsraum ausgeschlossen wurde,
während Ayrid drinnen war, dann kauerte sie sich einfach in den
Korridor, bis jemand die Tür öffnete. Diese Nacht
mußte sie eingeschlafen sein und nicht bemerkt haben, wie Ayrid
den Raum verlassen hatte.
Dahar stand mit hängenden Armen da; das zierliche Gesicht des
Mädchens war vom Schlaf entspannt. Zehnzyklen lang war er ihr
aus dem Weg gegangen. Noch nie habe ich einer Frau Gewalt angetan, hatte er zu Ayrid gesagt. Aber die Wahrheit sah anders aus; nach
den Nächten mit Ayrid – Nächten voller Sex, voller
Gespräche und voller Zärtlichkeit, jenem merkwürdigen
und verwirrenden Gefühl, das Ayrid ihn gelehrt hatte –, da
kam es ihm vor, als habe er zeitlebens die Huren zum Sex gezwungen,
obwohl er sich nicht erinnern konnte, daß SaSa jemals geschrien
hatte. Dahar lächelte bitter – hatte er wirklich je
geglaubt, es gebe Gewalt nur da, wo geschrien wurde?
Er konnte sie hier nicht so schutzlos zurücklassen. Sie sah
so winzig aus. Aber wenn er sie anfaßte, dann lief er Gefahr,
daß sie sich wie ein wildes Tier gebärdete, und das ging
jetzt über seine Kräfte. Außerdem ging es ihm gegen
den Strich, sie anzufassen.
Weil sie eine Jelitin war? Weil er nie bemerkt hatte, wie sehr
SaSa noch ein Kind war, bis Ayrid ihn darauf aufmerksam gemacht
hatte? Weil er sie benutzt hatte und ihn das an Ayrids Kind
erinnerte, das ihr ein Soldat gemacht hatte und das nicht viel
jünger war als dieses Mädchen?
Nein. Solche Spitzfindigkeiten waren dumm; hier war nicht Jela,
hier war auch nicht Delysia. Hier war R’Frow. In R’Frow
verbrachte dieses Mädchen seine Zeit mit Ayrid und den Geds.
Hier war R’Frow.
Daran klammerte er sich, als er sich bückte und SaSa behutsam
aufhob; er gab sich Mühe, sie nicht zu wecken, sie war
federleicht. Er wollte sie nicht in seinem Zimmer haben und trug sie
den Korridor hinunter zu Ayrids Tür.
SaSa war aufgewacht, lag auf seinen Armen und sah ihn an.
Der Blick durchbohrte seine Müdigkeit und kroch in seinen
Kopf. War das Wahnsinn, was in ihren Augen lauerte? Nein, das war
kein Wahnsinn. Das war auch keine Wut, auch keine Angst. Das
hätte der Blick eines dreiäugigen Monsters von einem
anderen Stern sein können – die blinde Feindseligkeit
angesichts eines wildfremden Wesens, zu dem es keine Brücke gab,
mit dem man nicht reden und mit dem man keinen Frieden
schließen konnte. Nur, daß die dreiäugigen Monster
ihm ganz anders begegnet waren. Er hatte solche Augen in der
Finsternis glitzern sehen, jenseits des Lagerfeuers, draußen in
der kalten und hungrigen Savanne…
Erschrocken stellte er SaSa auf die Füße. Sie rannte um
die Ecke des Korridors, das lose schwarze Haar peitschte lautlos
hinterher.
Sein Zimmer war stockfinster. Ayrid lag auf den Kissen und
schlief, wachte aber sofort auf, als er sich neben ihr ausstreckte.
Die erste Berührung mit ihr strafte seine Erschöpfung
Lügen. Auch das hieß Begehren – dieses seltsame,
unbändige Verlangen – dieser jähe, ungestüme
Wunsch, sie an sich zu ziehen und ihr alle Niedergeschlagenheit und
Enttäuschung ins Ohr zu raunen. Nichtsdestoweniger überfiel
ihn plötzlich eine lebhafte
Weitere Kostenlose Bücher