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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Menschen waren vor etwa hundert Tagen an dieser
Krätze erkrankt – vor fast drei Zehnzyklen; in R’Frow
verlernte man es, in Zyklen zu denken. Diese Krätze – seit
wann gab es sie unter den Tieren? Aber es gab doch kaum noch Tiere in
R’Frow. Jehanna hätte schwören können, daß
man die Krihunde restlos erlegt hatte. Diese Hündin hier bestand
fast nur noch aus Haut und Knochen. Hatte das Tier nichts zu fressen
gefunden oder hatte der Juckreiz es so verrückt gemacht,
daß es nicht mal mehr die stinkende Wampe eines delysischen
Bürgers gewittert hatte – oder tötete die Krankheit
den Appetit?
    Jehanna überlief ein Schauder. Talot…
    Aber sie durfte hier nicht länger eine Zielscheibe abgeben
– zu dumm. Sie kehrte in ihr Versteck zurück und versenkte
sich wieder in jenen tranceartigen Zustand regungsloser und
außergewöhnlicher Wachsamkeit, in dem das Herz den Takt
der Zeit schlug – indes der Geist aus Langeweile auf
Wanderschaft ging…
    Doch diese Nacht wollte die Kriegertrance nicht greifen. Ihr Kopf
war wie ein Tümpel, in dem die Ebbe einen Schwarm von Fischen
zurückgelassen hatte; ein Bild jagte das andere: Talot, die ihr
fleckiges Gesicht von den Knien hob; Ayrids bleiches Gesicht, als sie
sich verzweifelt zur Wehr setzte; die fremden, flachen Gesichter
dieser dreiäugigen Monster… Und da drüben auf dem
Wroffpfad lag der schlaffe Körper der Krihündin mit den
verräterischen Flecken am Bauch.
    Zum erstenmal in ihrem Leben verlor sie den Zeittakt des Kriegers.
Ging denn diese schier endlose Wache nie zu Ende? Immer wieder war
ihr, als höre sie die Pfiffe ihrer Ablösung. Doch als die
Losung tatsächlich ertönte, da überhörte sie sie
und empfing den empörten Bruder mit gezücktem Messer.
    Es war gegen Morgen. Das graue Halbdunkel hellte allmählich
auf, rieselte wie Mehltau durch das Geäst der kränkelnden
Bäume. Jehanna rannte über die Pfade hinter der
äußeren Postenkette, hielt kaum inne, um den Kriegern der
inneren Kette die Losung zu geben, stürzte in die Halle, nahm
immer zwei Sprossen auf einmal – schneller, schneller
–, stieß den Daumen ins Schloß, warf die
Tür auf und schlug mit dem Handballen in den abgedeckten Kreis.
Das Zimmer lag in Licht gebadet.
    Talot war fort.

 
50
     
    Dahar lehnte sich an die Wand und schloß die Augen. Er wagte
es nicht, sich die Augen zu reiben; er hatte sich noch nicht wieder
die Hände geschrubbt. Die Zeit, da er noch nichts von
Desinfektionsmitteln gewußt hatte, gehörte einer
schmerzlichen Vergangenheit an, gehörte zu jenem
Kriegerpriester, der er einst gewesen war. Er fand, daß es
höchste Zeit war, sich wieder die Hände zu schrubben, bevor
er im Stehen einschlief, doch im Augenblick war er zu müde, um
sich zu bewegen.
    Gut zwanzig Stunden – die anderen waren längst schlafen
gegangen – hatte er über dem
Vergrößerungsgerät und den Proben zugebracht. Ohne
Erfolg. Keine Mischung aus Antitoxinen oder aus Antitoxinen mit
anderen Heilmitteln hatte die Vermehrung der Bakterien gestoppt, die
man zwar nicht sichtbar machen konnte, die aber da sein mußten,
weil sie Gewebelösungen eintrübten und Krihunde in den
Wahnsinn trieben.
    Der Raum, der inzwischen mit Arbeitsgeräten vollgestopft war,
roch nach Eiter, Desinfektionsmitteln, einem sezierten Krihund und
nach den vier Menschen, die sich hier abplackten. Ilabor, der Soldat,
kam nicht mehr zur Unterrichtshalle, und Tey rührte keinen
Finger.
    Dahar schleppte sich zu einem Bodentischchen, das Grax in ihrer
Abwesenheit zu einer Wasserquelle gemacht hatte. Aus der einen Seite
der Oberfläche quoll unaufhörlich Wasser, das auf der
anderen Seite wieder abfloß. Ayrid war fasziniert gewesen von
dem künstlichen Brunnen und hatte sich sofort darangemacht, aus
den verschiedensten Sachen etwas Ähnliches zu konstruieren,
obwohl sie keine Ahnung hatte, wie das Original funktionierte.
Zwischen dieser Arbeit und der Suche nach dem richtigen Antitoxin
wechselte sie hin und her, genauso wie Lahab, der immer wieder zu
seinen Linsen zurückkehrte.
    Es war aussichtslos. Es gab keine Möglichkeit, die Vermehrung
der Bakterien zu unterbinden.
    Die Bakterien konnten unmöglich Bakterien sein.
    Aber was sollten sie sonst sein?
    Dahar war zu erschöpft, um das alles zum hundertunderstenmal
durchzukauen. Ayrid schlief bestimmt in seinem Zimmer, hatte nur
darauf gewartet, bis der Korridor verwaist war, nur um flugs das
Zimmer zu wechseln. So wußte wenigstens niemand in R’Frow,
hinter welcher

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