Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
Stimmen in einem Unterrichtsraum. Jehanna
huschte näher heran: Ayrid und eine andere Frau. Gut.
Jetzt.
    Wie der Blitz aus heiterem Himmel stand sie in der
Türöffnung. »Nicht bewegen!«
    Jehanna zielte mit dem Kugelrohr auf Dahar. Die delysische Frau;
Ayrid, die in einem Ding aus Metallstäben saß; das
Hürchen, das in einer dunklen Ecke kauerte. Kein Ilabor.
    »Die Waffen auf den Boden, Kommandant! Aber keine falsche
Bewegung!«
    Das ›Kommandant‹ war ihr entschlüpft. Dahars
Züge verhärteten sich. Er rührte keinen Finger.
    Jehanna fragte sich eiskalt, ob sie ihn töten würde,
falls er sein Kugelrohr zog, anstatt den Waffengürtel abzulegen.
Und sie entschied sich, ihn in diesem Fall zu töten.
    Er sah es ihrem Gesicht an. Doch er rührte sich erst, als
Ayrid rief: »Tu, was sie sagt, Dahar! Setz nicht dein Leben aufs
Spiel!«
    Die Augen der anderen Frau weiteten sich plötzlich.
    Dahar löste seinen Waffengürtel, ließ ihn fallen
und trat zurück. Jehanna hielt die Waffe auf ihn gerichtet,
während sie weiter in den Raum hineinging; sie bezog eine
Position, aus der heraus sie den Eingang sichern konnte. Dann wandte
sie sich Ayrid zu.
    Doch in die Glasbläserin war Bewegung gekommen. Sie flog mitsamt den Metallstäben auf Jehanna zu. War das etwas
Lebendiges? Jehanna sprang unwillkürlich beiseite. Die
Mündung ihrer Waffe schwankte – bloß wieder eins
von diesen Gedspielzeugen, ungewöhnlich, aber nichts
Lebendiges; doch in dem Augenblick, den sie brauchte, um das zu
begreifen, stürzte Dahar auf sie zu.
    Dann kam etwas aus dem Boden.
    Hernach konnte Jehanna sich kaum noch daran erinnern, was
geschehen war oder was sie gespürt hatte; sie wußte nur, daß sie etwas gespürt hatte. Etwas war aus dem
Boden gekommen, rascher als Dahar vorankam und rascher als ihr Finger
sich um den Abzug der Waffe krümmte. Etwas Unsichtbares. Da war
nicht mal ein Schimmer gewesen wie auf den Anzügen der Geds. Da
war nichts anderes gewesen, als daß die Zeit stillgestanden
hatte. Sie und Dahar hatten einen zeitlosen Moment lang das
Unmögliche erlebt – einen jelitischen Krieger, der sich auf
eine jelitische Kriegerin stürzte, die abdrücken
würde, wenn er ihr nicht zuvorkam. Und Jehannas Gedanken hatten
nicht stillgestanden; dieses unsichtbare, zeitlose Etwas ließ
zu, daß sie dachte: Das machen die Geds, um ihn zu
beschützen. Und dann entdeckte sie, daß die
Anstrengung der Geds umsonst gewesen war.
    Denn sie spürte, daß sie ihren Finger – noch ehe
die Zeitfalle zugeschnappt war – halb wieder vom Abzug
fortgespreizt hatte, und sie sah, daß Dahar zum selben
Zeitpunkt seine tödliche Attacke bereits gebremst hatte. Ein
jelitischer Bruder, der sich auf eine jelitische Schwester
stürzte, die ihn erschießen würde, wenn er ihr nicht
zuvorkam – dazu wäre es nicht gekommen. Jehanna, mit jeder
Faser ihres Körpers auf Disziplin und Loyalität getrimmt,
hatte gezaudert, und Dahar war es nicht anders ergangen, und so
standen sie sich lediglich auf Armeslänge gegenüber und
starrten einander an.
    Trotz des Schocks, den sie durchlebte, ahnte sie plötzlich,
wie es Dahar oder Talot zumute gewesen sein mußte, als sie
Jallaludin ans Messer geliefert hatten.
    Das Stasisfeld zog sich in den Boden zurück. Jehanna
schwankte, der Raum kreiselte, die Delysierin kreischte, und Ayrid
schrie Dahar etwas zu. Dann kamen die Dinge wieder ins Lot, Dahar
schien die beiden Frauen beruhigt zu haben, und Jehanna fand Zuflucht
bei ihrem Zorn.
    »Ich will mit Ayrid reden, und zwar unter vier Augen«,
knirschte sie. »Im Korridor. Die anderen bleiben gefälligst
hier!«
    Bevor Dahar etwas sagen konnte, war Ayrid mit ihrem
Gedröhrending bereits in der offenen Tür. Hatte er auch, gespürt, daß die Zeit stehengeblieben war? Er
mußte es genauso gespürt haben. Jehanna folgte Ayrid
mit dem Rücken zur Wand, so daß sie mit Dreikugel und
Kugelrohr alle drei in Schach halten konnte.
    Im Korridor überholte sie die Glasbläserin, um sie als
Deckung gegen die beiden anderen zu benutzen. Aber nicht Dahar
schlich ihnen nach, auch nicht die delysische Bürgerin, es war
SaSa, die kleine Hure, die ihnen folgte. Jehanna hielt Ayrid auf.
    »Sie folgt mir auf Schritt und Tritt«, sagte Ayrid
rasch. »Tu ihr nichts, Jehanna. Sie stört uns nicht. Sie
ist… taub. Was hast du auf dem Herzen?«
    »Ich hab dir das Leben gerettet… du weißt, die
beiden Bürger. Wir führen dasselbe…« Sie brachte
es nicht über die Lippen. Nicht schon wieder,

Weitere Kostenlose Bücher