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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Wänden
können. Sie würden sich schnell an das Fingerspiel
gewöhnen. Dahar stellte sich bereits geschickter an als mancher
Gedknirps.
    Grax roch sich selbst und sah in eine andere Richtung.
    Er hatte die Verbindung mit dem Bibliothekshirn unterbrochen und
sich ausgebeten, sie nur im äußersten Notfall
wiederaufzunehmen. Ihm fiel eine Geschichte ein, die er Dahar
erzählt hätte, wenn Dahar nicht Dahar, sondern
tatsächlich ein kleiner Ged gewesen wäre. Die Geschichte
war eine erschreckende und lehrreiche Lektion, sie erzählte von
einem Ged, der allein in der Schwärze des Alls schwebte, der als
einziger überlebt hatte, und dessen Pheromone in der Einsamkeit
alsbald versiegten – weil er der einzige war, der sie riechen
konnte. Es gab keine Zuwendung, wo niemand das Bedürfnis roch.
Und ohne Zuwendung ging die Realität verloren.
    Dahar würde niemals Pheromone riechen. Er würde nie die
Trance der Einhelligkeit kennenlernen, nie in den harmonischen Chor
der Zuwendung einstimmen können. Er besaß den
ausgeprägtesten mathematisch-logischen Verstand, der Grax je
untergekommen war, aber Dahar war kein Schüler, er war ein
primitives Wesen, ein Tier im Grunde.
    Das Paradoxe gehörte zur Physik des Universums, zur Struktur
der Gewißheit; es war rational. Aber das Paradoxe hatte nichts
in der Struktur der Einhelligkeit und Harmonie zu suchen. Grax
verfolgte, wie Dahar sich mit dem Wroff auseinandersetzte, und die
Zuckungen und Verzerrungen in dem viel zu muskulösen und viel zu
fleischigen Menschengesicht trieben ihm die eigene Scham in die Nase
– er schämte sich, weil er den ebenso unrealistischen wie
verwerflichen Wunsch verspürte, die Trance der Einheit mit einem
Wesen zu teilen, dem er soviel beigebracht hatte und das so tief
unter ihm stand.
    Er beobachtete, wie Dahar die Wroffscheibe neugierig in den
Händen drehte, und begegnete den Augen dieses Wesens, die in
einer unvorstellbaren Leere schwebten, einer Leere, die
schwärzer war als die Schwärze des Alls.
    »Jetzt aber«, sagte Dahar, und seine Finger
vollführten die ganze Folge von Manipulationen. Ausgehend von
der Wroffscheibe auf seiner Brust begann sich der Anzug zu
formen…

 
62
     
    Ayrid, die verbissen den Pfad zur Mauer entlangkroch, wurde auf
halbem Weg von einer allgegenwärtigen Finsternis
überrascht: das war weder das schwindende Zwielicht, mit dem
R’Frow den Abend vortäuschte, noch das düstere Grau,
mit dem es die Nacht vorgaukelte, das war eine jähe, totale
Schwärze, so tief wie in den fensterlosen Zimmern der
Wohnhallen. Es gab keinen Widerschein an der Kuppel; der Regen
mußte das Feuer gelöscht haben. Links von Ayrid bissen die
glühenden Kreise der Unterrichtshalle scharfe, runde Scheiben
aus der Schwärze. Irgendwo in ungewisser Entfernung stiegen
Schreie in die Finsternis.
    Warum diese absolute Schwärze? Um dem Gemetzel ein Ende zu
machen? Aber das Gemetzel wütete doch schon – seit wann
denn? Zu lange jedenfalls; das Morden mußte seinen
Höhepunkt längst überschritten haben. Warum also
hatten die Geds das Licht erst jetzt ausgeschaltet? Oder war diese
Schwärze auf etwas anderes zurückzuführen, vielleicht
auf ein Versagen in der unvorstellbaren Lichtapparatur der
Kuppel?
    Das pulsierende Bein trieb ihr Tränen in die Augen. Die
Finsternis war undurchdringlich. Sie drückte die Wange auf das
harte, verdorrte Gras.
    Wenn die Kuppel erloschen war, weil die Lichtapparatur nicht gegen
große Feuer gewappnet war… wenn SaSa in die Mauer gekonnt
hatte, weil die Versorgungsapparatur nicht gegen verrückte
Einfälle gewappnet war… wenn das stimmte, dann… dann
waren die Geds auch nicht unbesiegbar.
    Dann kehrte schlagartig das Licht zurück, aber ein anderes:
ein unheimliches orangefarbenes Glühen, viel trüber als das
Licht, das vorher geherrscht hatte, ein merkwürdig zähes
Licht, zäh wie eine dicke Flüssigkeit. In diesem
unwirklichen, geisterhaften Zwielicht wurde der Pfad zu einer
orangefarbenen spiegelblanken Schlange. Bäume und Büsche
sahen aus, als stünden sie am Grund eines vergifteten Sees.
    Stumpfe Windböen fuhren ihr ins Haar.
    Hinter sich hörte sie Schritte, und dann stand Kelovar
über ihr, gefolgt von einem anderen Soldaten. Kelovars
mächtige Hand umspannte SaSas dünnes Handgelenk, mit einem
Ruck zog er das Mädchen heran. Sein Tebel und seine Beinkleider
waren blutgetränkt. Ayrid half ihrem wehen Bein mit den
Händen nach und setzte sich auf.
    »Ayrid«, sagte Kelovar tonlos; er ließ

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