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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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benutzten Worte, die als Ausdruck von
Gewalt der Stufen Eins bis Drei gelten. Gewalttätigkeiten kamen
bei sechs Paaren vor. Die Analyse steht noch aus…«
    Der allgemeine Geruch schlug in Verwunderung um, dann in
Entsetzen. Noch nirgends im gesamten mathematischen Universum hatte
das Bibliothekshirn derartiges konstatiert. Gewalt bei der
Paarung…
    Einem der Geds wurde schlecht.
    Es war R’gref, der Jüngste. Er erlitt einen Bioschock:
seine Rückgratmuskeln wurden knotig, er verdrehte alle drei
Augen und verlor die Kontrolle über seine Pheromondrüsen.
Gerüche sprühten durch den Raum. Die Geds, die ihm am
nächsten waren, kletterten auf seinen Rücken und schlangen
Arme und Beine um den Unglücklichen und machten sich daran, ihm
Bauch und Beine, Arme und Kopf zu streicheln. Alle siebzehn murmelten
rituelle Worte der Einheit, obwohl sie nicht im Zustand der Trance
waren. Genetischen Schock durfte man nicht auf die leichte Schulter
nehmen. Diese Reaktion stammte noch aus nebliger Vorzeit, als die
Gene sich für die Harmonie erwärmten und der
Reproduktionsvorteil sich auf die Seite jener Gruppen schlug, deren
Mitglieder sich nicht bekriegten – weil das zur Folge hatte,
worunter R’gref jetzt litt. Diese Reaktion war ein
beschämendes Relikt, doch keiner war davon verschont geblieben.
Die siebzehn atmeten flach unter dem Ansturm unkontrollierter
Pheromone.
    »In uns singt die Harmonie, R’gref.«
    »In uns singt die Harmonie.«
    »Möge sie immer singen.«
    »Sie wird auf immer singen, duftender
R’gref…«
    »Wohlriechender R’gref…«
    »In uns…«
    Alles war vergessen. Es ging nur noch um Trost, Einhelligkeit und
Gesundheit.
    Jemand wandte sich an das Bibliothekshirn, und es schaltete die
Wandschirme ab. Die Bilder von Ayrid und Kelovar, Dahar und SaSa,
Jehanna und Talot erloschen – nicht für das Bibliothekshirn
selbst, das unermüdlich fortfuhr zu beobachten, zu analysieren
und zu lernen.

 
     
DRITTER TEIL
     
Krihunde
     
    Wenn du bestrafen mußt,
    so richte dich nach den Strafen,
    die du am eigenen Leib erfahren hast.
    Aber es ist besser, Nachsicht zu üben.
    - DER KORAN

 
15
     
    »Ayrid! Alles in Ordnung mit dir?« Ondur, eine Nachbarin
von Ayrid, kam ihr eilig auf dem wroffenen Pfad entgegen, das runde,
hübsche Gesicht voller Sorgenfalten, davor die gefalteten
Hände mit fest verschränkten Fingern. Ayrid blieb
überrascht stehen. Sie war dabei gewesen, an dem Fluß, der
durch das Gehölz zwischen den delysischen Hallen floß, mit
bloßen Händen Lehm zu schaufeln. Ihre Füße
waren schmutzig vom Schlamm, und in beiden Händen hielt sie
schlüpfrige Lehmklumpen.
    »Was soll denn sein? Ich bleibe immer in Rufweite der
Wachen.«
    »Ja, weißt du denn noch nichts?«
    »Was soll ich wissen? Ich sammle seit…«
    »Bleib nicht hier draußen! Komm!« Ondur sah sich
ängstlich um, packte Ayrid beim Ärmel ihres Tebels und zog
sie mit sich, den schimmernden Pfad entlang, durch den Torbogen in
die Halle.
    Hier drinnen herrschte ein hektisches Treiben.
    Im Laufe der Zehnzyklen, die man in R’Frow lebte, hatten die
Delysier ihre Hallen umgestaltet. Vor und nach den Zeiten, die alle
in der Unterrichtshalle verbringen mußten, erinnerten die
Wohnhallen an delysische Basare. Schneider boten farbenfrohe Tebel
feil, die aus den Kissenbezügen der Geds genäht waren;
Schuster die weichen Sandalen aus Tierhaut und dünnem
Kupferdraht, der aus den Demonstrationen in der Unterrichtshalle
stammte; Händler die Gedwaren, die in R’Frow zur
Verfügung gestellt wurden: Schüsseln, Draht, Stabmagnete,
Kissen, Behälter aus Wroff, Dreikugeln; auch Artikel, die man
aus Delysia mitgebracht oder aus Materialien gefertigt hatte, die es
in R’Frow gab: Messer, Becher, Seife, Rasierklingen, Glassachen,
Netze, Gürtel, sogar Schminke und Ohrringe; Nahrung, aufgelesen,
gepflückt oder erlegt in der Wildnis am Westende von
R’Frow, um das Angebot zu ergänzen, das viermal
täglich aus den Bodentischchen wuchs. Musikanten spielten auf
Holzflöten. Juweliere fertigten Glitzerzeug aus gestohlenem
Draht. Messerschleifer boten ihre Dienste an und Leibwächter,
Spielbuden, Heiler und Huren und Wäscherinnen und Hebammen, die
aus Kräutern übelriechenden Sud brauten, der die
Schwängerung, den Abort oder das Liebesspiel begünstigen
sollte. Wenn die Delysier zur Unterrichtshalle gingen, schleppten sie
ein Gutteil des Basars mit. Sie waren sehr rasch dahintergekommen,
daß lediglich ihre Anwesenheit erforderlich war und

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