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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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Ja-Sagern. Die dritte Hochzeit dieses Jahr. Ulf und Xaver schließen den Bund fürs Leben. Was wenig verwundert. Sie sind ja auch schon ungefähr die Hälfte des bisherigen ineinander verliebt. Seit Kurzem verlobt. Und gleich verheiratet. Verpartnerschaftlichung heißt das bei gleichgeschlechtlichen Ehen. Das ist der einzige Unterschied. Ansonsten standesgemäßes standesamtliches Hochzeitsflittern in allen Augen. Ein Liebeslied und Rosen im Roten Rathaus der Stadt sorgen für gehörig Romantik. Der Standesbeamte für gute Stimmung und den richtigen Ton. Es fließen Tränen. Es fliegt Reis. Und am Ende sind meine glücklich strahlenden Freunde nicht nur Bräutigam und Bräutigam, sondern auch Mann und Mann. Im Designeranzug, mit Ehering und einer ordentlichen Party. Gefeiert wird am Wasser unter freiem Himmel.
    Wenngleich ich heute vormittag überdurchschnittlich viel Zeit in die optische Restaurierung gesteckt habe, kann auch ich nicht umhin festzustellen, dass ich zurzeit – kurz vor dem Ziel – schon reichlich dünnhäutig aussehe. Durch die helle, pergamentene Haut schimmern Äderchen, die Schatten unter den Augen lassen sich nicht mehr übertünchen. Kurzum: Die Show muss zwar weitergehen, und das Lächeln ist auch immer noch echt und ehrlich gemeint. Aber dem Showgirl geht die Puste aus. Auch wenn es das nicht so recht wahrhaben möchte. Immerhin hat es die täglichen Sportsessions bis jetzt durchgehalten. Trotz Heulen und Knochenklappern zwischenzeitlich. Ein zusätzlicher Tupfer Rouge auf die Wangen vor dem abendlichen Fest, und ich sehe nicht mehr ganz so farblos und fertig aus. Um den Kopf drapiere ich ein paillettenbesetztes Tuch. Fehlt nur noch die Federboa und man könnte mich in einen Art déco gestylten Club der Zwanzigerjahre setzen. Der Kopfschmuck hat durch den hohen Anteil glitzernder Elemente durchaus Filmdiven-Format.
    Kommt mir ganz gelegen, dass ich die Perücke auf dem Styropor-Kopf lassen kann, denn ich bin das Zweithaar mittlerweile dermaßen leid, dass ich es nur noch äußerst ungern aufsetze. Und auch nur in »Pflichtsituationen«, wenn ich mich auf öffentlichem Terrain bewege. Also an Orten, wo Menschen sind, vor denen ich die Tatsache der Chemotherapie tunlichst verheimlichen möchte. Oder muss. Heute ist das nicht so. Und so präsentiere ich mich im tadellosen Gloria-Swanson-Look auf der Party. Es dauert nicht lange, bis ich mit einem der mir bisher unbekannten Hochzeitsgäste ins Gespräch komme und etwas zu hören bekomme, was ich so tatsächlich nicht mehr erwartet hätte: »Das Tuch sieht echt schick aus. Aber warum versteckst du dein schönes, langes Haar darunter?« Ich muss schmunzeln. Und löse die Sache nicht auf. Natürlich nicht. Mit einem: »Ach, ich fand das heute irgendwie schick. Mit dem Tuch. Und den Pailletten«, stehle ich mich stattdessen aus weiterer Erklärungsverantwortung und drifte gedanklich ab.
    Währenddessen gibt sich mein Gesprächspartner mit der Antwort zufrieden und pflegt indes mit anderen Gästen die Kunst des unanstrengenden Small Talks. War er jetzt nur höflich? Und hat bewusst den Unwissenden gespielt? Nein. Die Nachfrage war echt und das betroffene Bedauern über mein vermeintlich verstecktes Haar deutlich spürbar. Es mag absurd klingen, dass mich das nach den zurückliegenden Wochen, der gemeisterten Zeit, den abgehakten Tiefs doch noch so berührt. Aber es ist so. Wie befreiend, wie erleichternd, nicht automatisch als die arme Kranke, die mit dem Stigma Krebs, betrachtet zu werden. Für ihn bin ich maximal nur eine merkwürdige Moderatorin, die dem Publikum aus unerfindlichen Gründen Teile ihrer weiblichen Reizsymbole vorenthält. Nicht mehr. Nicht weniger. Und vielleicht noch nicht einmal das.
    Der Abend entwickelt sich zu jedermanns Gunsten. Es gibt reichlich und köstlich zu essen. Die Getränkequelle ist eine schier unversiegbare. Aber am glücklichsten, neben den Eheleuten natürlich, fühle ich mich. Bilde ich mir zumindest ein. Diese eine Frage, die mich mit einem ruckartigen Zug rausgeholt hat aus der Gruppe der Patienten und Gekennzeichneten, die mich zum gleichberechtigten, unauffälligen Mitglied der Feiermeute hat aufsteigen lassen, sie hat mich wie von einem Bann erlöst. Dem Bann der Bemitleidenswerten. Und außerdem mir die Perspektive in Erinnerung gerufen, dass die Tage der Chemotherapie gezählt sind. Es gibt nur noch einen Zyklus. Und den bekomme ich schon übermorgen.
    In der Nacht vor dem großen Finale schlafe ich

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