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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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überdimensionierten Anspruch an alles. Die Arbeit, das Kind, den Mann, sich. Nicht nur, weil sie mich allzu oft spiegelt und daher bestens versteht, sondern weil sie ein blitzgescheites Mädel ist mit emotionalen Antennen von hier bis ans Kap der guten Hoffnung, mag ich sie so sehr. Sie ist wie ich. Oder besser: wie ich war. Der Teil, den ich in der Vergangenheit lassen möchte, das ist der der Teilbarkeit. Sich selbst zerstückeln und an unterschiedlichsten Schauplätzen womöglich gleichzeitig präsent sein, nur weil mir irgendjemand oder im Zweifel ich mir einrede, das müsste so sein.
    Betty hat einen Plan, der mich in meiner Ganzheit beinhaltet. Ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie möchte mich nämlich zu einer Massage meiner Wahl einladen, mit allem Zipp und Zapp. Ich soll mir eine Behandlung aussuchen, egal welche. Ich winde mich, weil ich das nicht annehmen kann. »Das ist zu teuer, Betty ... ich weiß, du meinst es gut. Aber wenn ich das möchte, dann leiste ich mir das selbst.« – »Oh, Mann. Bist du anstrengend. Ich möchte nicht nur dir etwas Gutes tun, du dumme Nuss. Ich habe ja auch etwas davon. Wenn wir uns einen schönen Wellnesstag machen, dann verbringen wir Zeit – ohne, dass mein Kind ruft, mein Job im Nacken sitzt oder irgendetwas unsere Zweisamkeit stört.« Ich bin kurz davor, zuzusagen. Auch wenn sich das mit meinem schlechten Gewissen nur bedingt vereinbaren lässt. Sie atmet geräuschvoll ein, und ich merke an der Art, wie sie Luft holt, dass jetzt das Killerargument kommt. Das eine, das keine Widerrede duldet. Ich bin sehr gespannt, welches Ass sie jetzt noch aus ihrem Hippiemädchen-Hemdärmel zaubert: »Außerdem, Miri ...« Es folgt eine bedeutungsvolle Pause: »Die haben da sogar ... einen Friseur. Du kannst dir da kostenlos die Haare machen lassen ... Echt. Und die sind gut.« Nach einer kurzen Verständnisverzögerung pruste ich laut los. Sie, Revolver im Rücken: »Doch wirklich. Wirklich. Wirklich. Das kostet nix extra. Das ...« Ich unterbreche sie, glucksend lachend, und während ich nach Luft japse, schaffe ich es, ein paar Worte zu formulieren: »Betty ... Haare ... welche Haare?« Schweigen. Oh nein. Ich höre jemanden in den Erdboden versinken am anderen Ende der Leitung. Aus der Erdspalte flüstert dieser jemand: »Ach, du Scheiße. Ich blöde Kuh ...« – »Nein, nein, Betty. Betty. Betty! Das ist so süß, weil ...« – »Nein – wie – dämlich – kann – man ...« – »Stoooop. Alles gut. Es zeigt doch nur erstens, wie sehr du mich in deinem Herzen als die Miri hast, die du kennst – wie immer mit Haaren, und zweitens: Du willst mir doch nur einen perfekten Mädchentag schenken. Und – hallo? Da gehören Haare dazu!!!« Schweigen. Es dauert einige Minuten, bis ich ihr glaubhaft versichern kann, dass mich der vermeintliche Fauxpas weder verletzt noch ärgert. Sondern stattdessen jetzt schon als super Anekdote in mir abgespeichert ist. Womit sie leben muss. Und kann. Ein Glück.
    Der Wohlfühltag steht schon 72 Stunden später an. Immer noch schuldbewusst, Betty halt, aber fröhlich über unser Treffen, sehe ich meine kleine, unterhaltsame Freundin wieder. Ich habe mir eine Lomi-Lomi-Massage ausgesucht, während sie sich auf andere Art und Weise durchkneten lässt. Ich hatte kurz in Erwägung gezogen, eine Behandlung zu wählen, die Stirnölgüsse oder andere Kopf-Treatments beinhaltet hätte. Einfach nur, um Betty die Vorteile meiner Glatze (mit Ministoppeln) zu verdeutlichen. Da ich mich aber, wie schon erzählt, so ungern und nur sehr selten »oben ohne« zeige, habe ich mich im letzten Moment doch noch einmal dagegen entschieden. Wenngleich ich aus meiner vergangenen Spa-Erfahrung weiß, wie unglaublich angenehm die Kopfmassage am blanken Schädel tatsächlich ist. Diese Überlegungen tun weder dem Genuss noch dem Erfolg der heutigen Behandlung einen Abbruch. Und: Betty und ich haben einen der seltenen Momente für uns.
    Die Entspannungseinheit hinter uns, sitzen wir schläfrig, angeduselt wie nach zwei Gläsern Sekt, im Ruheraum und reden. Flüsternd. Aber irgendwie eilig. Es gibt so viel aufzuholen. Ich danke ihr natürlich für ihr generöses Geschenk und sage, während ich das Tuch um meinen Kopf lupfe: »Schau mal. Bald wieder ein Fall für den Friseur.« Sie grinst. »Cool. Wusstest du das? Den gibt’s hier übrigens kostenlos.«

38. 
Das letzte Mal (Woche 18)
    Am Wochenende vor der letzten Infusion gibt es wieder eine Einladung von befreundeten

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