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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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raushältst,
Frank. Nur für ein Weilchen. Was sie auch sagen, es kann Kevin nichts mehr
anhaben. Sobald sich die Wogen geglättet haben ...«
    »Nein. Kommt gar
nicht in Frage. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie sie ihn zum Sündenbock
machen, bloß weil er tot ist. Er kann sich nicht mehr wehren, aber ich kann das
verdammt nochmal für ihn machen.«
    Eine leise
Stimme sagte: »Daddy?«
    Wir fuhren
beide zusammen, als hätten wir an eine Hochspannungsleitung gepackt. Holly
stand in der Tür, in einem zu großen Hannah-Montana-Nachthemd, eine Hand an der
Klinke und die Zehen auf den kalten Fliesen eingerollt. Olivia sagte rasch:
»Geh wieder ins Bett, Schätzchen. Mummy und Daddy unterhalten sich bloß.«
    »Du hast
gesagt, jemand ist gestorben. Wer ist gestorben?«
    Auch das
noch. »Schon gut, Schätzchen«, sagte ich. »Bloß jemand, den ich kenne.«
    Olivia
ging zu ihr. »Es ist mitten in der Nacht. Geh ins Bett. Morgen früh reden wir
alle zusammen darüber.«
    Sie
versuchte, Holly zur Treppe umzudrehen, aber Holly klammerte sich an der Klinke
fest und blieb stur. »Nein! Daddy, wer ist gestorben?«
    »Ins Bett.
Sofort. Morgen können wir —«
    »Nein! Ich
will es wissen!«
    Früher
oder später würde ich es ihr erzählen müssen. Gott sei Dank wusste sie schon,
was Tod bedeutet: Goldfische, ein Hamster, der Großvater ihrer Freundin Sarah.
So ein Gespräch hätte ich nicht auch noch bewältigen können. »Deine Tante
Jackie und ich haben einen Bruder«, sagte ich - immer schön einen längst
verlorengeglaubten Angehörigen nach dem anderen. »Hatten. Er ist heute Morgen
gestorben.«
    Holly
starrte mich an. »Dein Bruder?«, sagte sie, mit einem hohen kleinen Beben in
der Stimme. »Also mein Onkel?«
    »Ja,
Kleines. Dein Onkel.«
    »Welcher?«
    »Keiner
von denen, die du kennst. Das sind die Brüder von deiner Mummy. Das hier war
dein Onkel Kevin. Du hast ihn nie kennengelernt, aber ich glaube, ihr zwei
hättet euch gemocht.«
    Eine
Sekunde lang wurden ihre butangasartigen Augen riesengroß. Dann verzog sich
Hollys Gesicht, ihr Kopf fiel in den Nacken, und sie stieß einen wilden,
kummervollen Schrei aus. »Neeeeiiiin! Nein, Mummy,
nein, Mummy, nein ...«
    Der Schrei
ging in ein lautes, herzzerreißendes Schluchzen über, und sie drückte das
Gesicht an Olivias Bauch. Olivia kniete sich auf den Boden, schlang die Arme um
Holly und murmelte tröstliche, wortlose Dinge.
    Ich
fragte: »Wieso weint sie?«
    Ich war
ehrlich verblüfft. Nach den letzten paar Tagen arbeitete mein Verstand nur
noch im Schneckentempo. Erst als ich Olivias raschen Blick nach oben sah, flüchtig
und schuldig, wurde mir klar, dass irgendetwas im Busch war.
    »Liv«,
sagte ich. »Wieso weint sie?«
    »Nicht
jetzt. Schsch, Schätzchen, schsch, ist ja gut -«
    »Neeeiiin! Es ist nicht gut!«
    Das Kind
hatte nicht ganz unrecht. »Doch, jetzt. Warum zum Teufel weint sie?«
    Holly hob
ihr nasses Gesicht von Olivias Schulter. »Onkel Kevin«, kreischte
sie. »Er hat mir Super Mario Brothers beigebracht,
und er wollte mit mir und Tante Jackie ins Kindertheater!
«
    Sie
versuchte zu sprechen, doch die Worte wurden von einem weiteren Tränentsunami
weggespült. Ich setzte mich ruckartig auf einen Hocker an der Theke. Olivia
mied jeden Blickkontakt mit mir und wiegte Holly hin und her, streichelte ihr
den Kopf. Ich hätte auch gern so eine Behandlung gehabt, vorzugsweise von
jemandem mit einem sehr großen Busen und einem dichten Vorhang Wallehaar.
    Schließlich
hatte Holly sich verausgabt und erreichte das
Zittrig-nach-Luft-schnappen-Stadium, und Liv bugsierte sie sachte nach oben ins
Bett. Ihr fielen schon die Augen zu. Während die beiden oben waren, holte ich
eine schöne Flasche Chianti aus dem Weinregal - Olivia hat kein Bier mehr im
Haus, seit ich nicht mehr hier wohne - und entkorkte sie. Dann saß ich auf dem
Thekenhocker, die Augen geschlossen, den Kopf gegen die Küchenwand gelehnt, und
während ich hörte, wie Olivia über mir tröstende Laute von sich gab, überlegte
ich, ob ich je im Leben so wütend gewesen war wie jetzt.
    »Also«,
sagte ich munter, als Olivia wieder nach unten kam. Sie hatte die Gelegenheit
genutzt, um ihren Hübsche-Mummy-Panzer anzulegen, knackige Jeans,
karamellfarbener Kaschmirpullover und selbstgerechte Miene. »Ich denke, ich
hab eine Erklärung verdient, meinst du nicht auch?«
    Sie warf
einen Blick auf mein Glas und zog dezent die Augenbrauen hoch. »Und offenbar
auch ein Glas Wein.«
    »Oh, nein,
nein.

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