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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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schwer wie einen Stein machte: »Es
gibt nichts, was das alles irgendwie besser machen könnte, Francis. Wir sind
alle untröstlich, und es gibt keine Erklärung auf dieser Welt, die daran etwas
ändern kann. Warum nimmst du es nicht so hin, wie es ist?«
    »Das würde
ich, bloß viele andere Leute tun das eben nicht, und in einer der beliebtesten
Theorien bin ich der böse Bube. Denkst du, das sollte ich einfach ignorieren?
Du hast doch selbst gesagt, du möchtest, dass ich auch in Zukunft hierherkomme.
Denk mal drüber nach, was das heißt. Soll ich etwa jeden Sonntag in einer
Straße verbringen, wo mich alle für einen Mörder halten?«
    Jackie
drehte sich auf ihrem Platz um. Sie sagte: »Ich hab dir doch schon gesagt, das ist
bloß Gerede. Das hört wieder auf.«
    Ich sagte:
»Also, wenn ich nicht der böse Bube bin und Kev nicht der böse Bube ist, dann
lasst mal hören. Was ist an dem Abend passiert?«
    Die Stille
zog sich in die Länge. Wir hörten sie kommen, ehe wir sie sahen: Kinderstimmen,
die zusammenflossen, ein rasches, gedämpftes, unaufhörliches Murmeln irgendwo
in dem blendenden Spätabendlicht oben am Ende der Straße. Sie lösten sich als
Silhouettenknäuel aus diesem gleißenden Lichtfeld, die Männer groß wie
Laternenpfähle, die Kinder verschwommen und hin und her flimmernd. Hollys
Stimme rief »Daddy!«, und ich hob einen Arm und winkte, obwohl ich nicht
erkennen konnte, welche sie war. Ihre Schatten hüpften vor ihnen die Straße
hinunter und warfen rätselhafte Formen vor unsere Füße.
    »Gut
jetzt«, sagte Carmel leise zu sich selbst. Sie atmete durch und strich sich mit
den Fingern unter den Augen entlang, damit auch die letzten Tränenspuren
verschwanden. »Gut jetzt.«
    Ich sagte:
»Bei nächster Gelegenheit müsst ihr mir den Rest erzählen, was letzten Sonntag
passiert ist.«
    Shay
sagte: »Und dann wurde es spät, und Ma und Dad und ich sind schlafen gegangen,
und Kev und Jackie haben sich auf den Heimweg gemacht.« Er warf die Zigarette
über das Geländer und stand auf. »Ende«, sagte er.
     
    Sobald wir
alle wieder in der Wohnung waren, legte Ma einen Zahn zu, um uns dafür zu
bestrafen, dass wir sie in ihrem großen Elend allein gelassen hatten. Sie
machte sich grimmig über irgendwelches Gemüse her und erteilte Befehle in
Warp-Geschwindigkeit. »Du, Carmel-Jackie-Carmel-wer-immer-du-bist, setz die
Kartoffeln auf - Shay, tu das dahin, nein, du
Dummkopf, dahin — Ashley, Liebchen, wisch für deine
Nana mal schnell den Tisch ab — und Francis geh rein und unterhalt dich mit
deinem Dad, der ist wieder im Bett und will ein bisschen Gesellschaft. Nun geh
schon!« Sie klatschte mir ein Geschirrtuch gegen den Hinterkopf, damit ich
mich in Bewegung setzte.
    Holly
hatte sich an mich gedrückt, um mir irgendein angemaltes Keramikteil zu
zeigen, das sie auf dem Weihnachtsmarkt für Olivia gekauft hatte, und mir
detailliert zu schildern, wie sie die Elfen vom Weihnachtsmann kennengelernt
hatte, doch daraufhin verschwand sie prompt wieder zwischen ihren Cousinen, was
ich für extrem vernünftig hielt. Ich erwog, dasselbe zu tun, aber Mas
Fähigkeit, einen endlos lange zu nerven, ist beinahe übermenschlich, und das
Geschirrtuch schoss schon wieder in meine Richtung. Ich sah zu, dass ich von
ihr wegkam.
    Das
Schlafzimmer war kühler als die übrige Wohnung, und stiller. Dad saß im Bett
gegen Kissen gestützt und tat offenbar gar nichts, außer vielleicht auf die
Stimmen aus den anderen Zimmern zu lauschen. Das flauschig Weiche rings um ihn
herum - apricotfarbenes Dekor, fransenbesetzte Möbel, gedämpftes Licht von der
Stehlampe - ließ ihn bizarr deplatziert wirken und auch irgendwie stärker,
brutaler. Man konnte sich vorstellen, warum Frauen um ihn gekämpft hatten: die
kantige Kieferpartie, die arrogant vorspringenden Wangenknochen, das ruhelose
blaue Glitzern seiner Augen. Für einen Moment sah er in diesem trügerischen
Licht noch immer wie der wilde Jimmy Mackey aus.
    Doch seine
Hände verrieten ihn. Sie waren völlig hinüber - die Finger dick geschwollen und
nach innen gekrümmt, die Nägel weiß und rau, als würden sie schon verfaulen -,
und sie bewegten sich unablässig auf der Decke, zupften fahrig an losen Fäden.
Das Zimmer stank nach Krankheit und Arznei und Füßen.
    Ich sagte:
»Ma meinte, du hättest Lust auf ein Pläuschchen.« Dad sagte: »Lass uns eine
rauchen.«
    Er wirkte
noch immer nüchtern, aber mein Dad hat sich sein Leben lang mit großem Einsatz
bemüht,

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