Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi
magenkranken, kurz vor der Operation stehenden Kommissar Bärlach und dem Mörder seines Kollegen. Der Kommissar hatte die ganze Zeit mit dem Mörder zu tun, ohne es zu wissen. Elke setzte sich und begann zu lesen. Nach wenigen Seiten ließ sie das Buch sinken und sah in die Landschaft. Der Blick entspannte sie wie ein Kaminfeuer. Feuer, dachte sie, ist etwas, in das ich ewig starren kann. Und hier ist es genauso. Einfach dasitzen und schauen, spüren, wie die Gedanken sich verflüchtigen und Konkretes von mir abfällt. Sie atmete tief ein.
Erst als die Schatten der Hügel ihr die Wärme nahmen und sie fröstelte, erhob sie sich. Als sie mit dem letzten kräftigen Licht die Terrasse des Koglerhauses betrat, hatten sich die Bänke inzwischen mit Wanderern gefüllt. Andächtig und erstaunlich leise genossen sie den Blick talwärts, viele mit einem großen Glas Bier in der Hand.
»Da bist du ja.« Aus einer Gruppe Männer in karierten Wanderhemden an einem Tisch winkte ihr Hubert zu. »Wo bist gewesen heute? Setz dich doch zu uns.« Schon wurde eine ausgebreitete Wanderkarte beiseitegeschoben und ihr ein Platz eingeräumt. Elke verzichtete dankend.
»Erzähl ich später, ich muss noch rauf.« Und damit wies sie auf ihr Zimmer, lächelte und betrat die Eingangshalle. Wie erwartet, dachte sie, der erste lief mir bereits über die Füße.
Sie legte sich auf ihr Bett und versuchte, weiter im Dürrenmatt zu lesen. Doch das trübe Deckenlicht, eher zur Orientierung als zum Schmökern geeignet, ließ die Augen ermüden. Sie schlug das Buch zu und lauschte. Draußen knarrten die Dielen unter kräftigen Schritten. Unter ihrem Zimmer plätscherte der Trog-Brunnen. Aus dem Nebenzimmer drang ein Ruf durch die Holzwand. »Abendessen.« Sie sah auf ihre Uhr. Gleich Sechs. Indem sie sich von der Matratze hochstemmte, merkte sie, wie sehr der heutige Tagesausflug ihre Muskeln beansprucht hatte. Leise ächzend kletterte sie von ihrem Hochbett herunter, zog einen Pullover über und ging nach unten.
Vor der Essensausgabe hatte sich eine kleine Schlange gebildet. Links auf den Tafeln waren die Angebote der deftigen Speisen zu lesen. Vor und hinter ihr wurde laut beratschlagt, was man denn nehme. Sie entschied sich für eine Gulaschsuppe, die ihr Gundi mit einem »passt schon« auf das Tablett stellte. Ein hoch gewachsener Mann mit unrasiertem Kinn und langen Armen stand am Zapfhahn und füllte die Getränke ab. Der muss als Kind viel auf dem Bauernhof geholfen haben, überlegte sie und blickte auf die kantigen, breiten Hände. Er war ihr bisher in der Küche nicht aufgefallen. Plötzlich begann der Bierhahn zu spucken. Als Moni aus dem hinteren Teil der Küche ein zylindrisches Aluminiumfass nach vorne wuchten wollte, sprang ihr der Zapfer bei, schob sie sanft beiseite, griff das Fass und stemmte es mit einer beeindrucken den Leichtigkeit an die Theke. Mit wenigen Handgriffen war es angeschlossen und frisches Bier schäumte in den Gläsern. Still lächelte er Elke an und kam kaum nach, die Bestellungen mit den Getränken zu vervollständigen. Jetzt, zur Essenszeit, war der Reiz der Bergwelt verflogen. Kasernenton und Effizienz beherr schten den Raum. Sie nahm ihr Weißbier entgegen und floh nach draußen auf die abseitig gelegene Bank unterhalb des Stubenfensters.
Als sie ihr Tablett dort auf den Tisch stellte und sich setzen woll te, stieß sie auf die Küchenhilfe Moni, die eben noch versucht hatte, das Bierfass zu bewegen. Sie hatte sich ebenfalls dorthin zurückgezogen und löffelte an einem Teller Kasnudeln.
»Ich hoffe, ich stör deine Pause nicht«, murmelte Elke und ließ sich neben ihr nieder, wobei sie etwas Abstand ließ. Sie wollte der jungen Frau, die hier wohl nur wenige Minuten für sich saß, diesen Augenblick nicht verderben. Moni nickte stumm und blickte wieder über den See. Die Luft war inzwischen kühl geworden und ein bläuliches Licht füllte den Talkessel. Beide Frauen aßen schweigend und ließen den Gedanken freien Lauf. Jäh wurde diese Form der Meditation aber durch andere Hausgäste gestört. Mit ihren Tabletts in den Händen suchten sie nach unbelegten Tischen und kamen, laut ihre Unterhaltungen fortsetzend, an der stillen Ecke vorbei. Da sie den Platz aber besetzt vorfanden, zo gen sie weiter.
»Scheint hier oben schwer zu sein, einen ruhigen Fleck zu finden«, durchbrach Elke das Schweigen und prostete der Küchenhilfe mit ihrem Bier zu. Die lächelte, griff zu ihrem Glas und erwiderte die
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