Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi
war ein Platz direkt unter einer Lampe frei. Er hat nicht eine Miene verzogen, stellte sie über Manfreds Reaktion fest.
»Und morgen steigst schon ab? Ja, warum das denn?« Die Karten spieler sahen ihn an, er murmelte irgendetwas. »Ach geh, Madeln hat’s hier oben auch. Da brauchst nicht ins Tal.« Die Gruppe johlte und prostete sich zu.
Elke atmete tief durch und versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren. Stell dir vor, du bist in einem Café in Bern, vereinte sie den Buchinhalt und Krach in der Umgebung. Der Roman war eine Empfehlung ihres Chefs gewesen, eines ausgewiesenen Krimifreundes. Lies das mal, hatte er ihr gesagt, wie Dürrenmatt das psychologische Vorgehen Kommissar Bärlachs beschreibt, ist die Anstrengung wert. Dabei war Elke bisher eher die Ruhe der Figu ren aufgefallen, dass er mehr als andere Autoren das Seelenleben der Romanfiguren berücksichtigte, hatte sie allerdings nicht be merkt. Aber wie der alte Ermittler vorging, gefiel ihr sehr. Das ruhige Fragen und Beobachten, das war seine Handschrift. Langsam fand sie in der Geschichte Tritt und vergaß, auf einer Berghütte zu sein.
Einmal blickte sie von den Seiten auf. Ihr Ex-Geliebter mit unsicherem Status stand neben ihr, in den Händen ein Tablett mit leeren Schnapsgläsern, und rief zu seiner Runde hinüber, er gehe jetzt aufs Matratzenlager. Die Männer am Tisch winkten und konzentrierten sich wieder auf die Karten. Elke nahm die Nachricht auf, senkte aber den Kopf und zeigte keinerlei Reaktion. Mit Manfred hatte sie hier oben nichts zu tun. Das war für sie geklärt. Alles Weitere würde sich zeigen. Später.
Gegen zehn Uhr hatte sich die Stube geleert. Sie schlug das Buch zu und brachte das Glas zum Abstelltisch neben der Küchendurchreiche.
»Was liest denn Schönes?«, wollte Gundi wissen, die aus der Küche schaute.
»Ach, einen Krimi. Spielt in der Schweiz, Bern.«
»Ah so. Tagsüber in den Bergen, abends bist dann in der großen Stadt. Na, das nenn ich Rumkommen.«
»Ich hab heute mit der Moni gesprochen, die ist wirklich rumgekommen. Indisches Tibet! Das ist mal was.« Elkes Mund verzog sich anerkennend.
»Ja, so.« Gundi blickte vielsagend. »Einfach aber war das nicht. Das war keine Reise aus Lust an der Welt, ich würd eher sagen, eine Flucht war das.« Elke mimte Unverstehen. »Na das muss, warte, 1998 gewesen sein. Sie war gerade 18 geworden. Ihre Eltern, die sind gut befreundet mit meinen, waren in Sorge, das kannst glauben. Die Moni war auf so einem Selbstfindungstrip. Gut, das kommt vor, nur musste es ausgerechnet die tibetische Grenze sein? So weit weg, und so hoch. Gefährlich obendrein. Ach warte mal.«
Die Wirtin machte Elke ein Zeichen, verließ die Küche und betrat die Stube. Wenige Augenblicke später kam sie mit einem Buch in der Hand zurück. »Hier. Das liegt bei den anderen Bergbüchern im Schrank. Ein Bildband über die Region dort oben.« Sie schlug das Buch wahllos auf und reichte es ihrem Gast.
»Faszinierend ist’s schon da oben. Kannst selbst sehn. Kein Wunder, dass so ein junges Ding sich von dieser Kultur angesprochen fühlte. Die Leute hier meinen, danach sei sie verändert gewesen. Ich kenn sie nicht so lang, sie ist ja sehr viel jünger als ich, da haben wir uns bei unseren Eltern nicht gesehen. Und hier oben arbeitet sie erst seit zwei Jahren für uns. Ihre Mutter sagt, da ist bestimmt was passiert, da oben auf dem Dach der Welt. Re gelrecht weggelaufen muss sie von dort sein. Ihre Tochter sei stiller und in sich gekehrter heimgekommen, manchmal habe sie gar keinen Zugang mehr gehabt zu ihr. Na, was Eltern so reden. Wir verändern uns doch alle irgendwann, oder? Mit 18, bitte sehr, da ist man ja noch völlig unausgegoren. Kein Wunder, wenn man da anders rüberkommt. Ich jedenfalls kann nicht klagen. Mir gefällt sie. Bergverliebt und emsig, für die Hütte wie geboren. Und so ein Tibet-Tick stört mich nicht. Ist halt ihr Ding.«
»Ja«, nickte Elke nachdenklich, »das denke ich auch. Diese Ge gend hat bei ihr einen besonderen Wert. – Dann will ich mal. Gute Nacht, ich leg mich hin.«
»Schlaf gut. Der Hubert ist schon vor einer Stunde hoch. So schief wie der ging, wird er dich nicht stören. Und das Buch, das kannst du gerne morgen zurückbringen, gell?« Gundi grinste Elke hinterher.
Mondlicht
Die kleinen Steinchen auf dem Weg knirschten unter den Schritten. Taubeschwertes Gras wand sich um die Waden und nässte Hose und Schuhe. Immer wieder stoppte der Gang. Außer dem Ruf
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