Frettnapf: Roman
wie unkompliziert das Liebesleben in diesem Alter ist, wie schnell man sich trennt und mit einem anderen Partner tröstet, und sei es nur für ein paar Stunden, kommt mir eine äußerst gute Idee. Wenn mir irgendwer wirklich weiterhelfen kann, meine Beziehungsdefizite aufzudecken, dann doch wohl meine Ex-Freundin Natascha Kehl. Ich habe mich vor ihr nie groß verstellt, war immer so, wie ich meines Erachtens heute noch bin; da muss sie mir doch sagen können, was ich an mir verändern sollte. Immerhin hat sie mit mir Schluss gemacht!
» Und wieso hat die dich damals verlassen?«, will Patti wissen, die kurz ihre Zunge aus Ingo geholt hat und mir zuhört, während sie an ihrem Kakao nippt.
» Das hat sie nicht genau gesagt«, antworte ich.
» Er ist halt ein Penner«, fügt Sven hinzu.
Mit einem kurzen » Ach, so« wendet sich Patti wieder Ingo zu und knutscht weiter. Da er nun beginnt, sich unter ihrem T-Shirt in Richtung Busen hochzufummeln, ist vorerst keine weitere Gesprächsbeteiligung von den beiden zu erwarten. Mich erschüttert es jedoch ein wenig, dass Svens Aussage über mich einem jungen Mädchen wie Patti offenbar vollkommen ausreicht. Ich bin ein Penner, mit mir macht man Schluss.
» Wie meinst du jetzt eigentlich Penner?«, hake ich bei Sven nach.
» Du bist halt seit Jahren in einer Art Winterschlaf und pennst dich so durch die Zeiten. Wann warst du das letzte Mal spontan in Italien?«
» Da war ich noch nie spontan.«
» Siehst du.«
» Aber das hat Jessi nicht an mir kritisiert.«
» Sie hat gar nichts an dir kritisiert. Das warst du selbst, und deine Unspontanität, wenn man das so sagen kann, steckt im Subtext.«
» Da war kein Subtext.«
» Gut, dann suchen wir jetzt diese Natascha und fragen sie mal, was an dir so unausstehlich ist.«
Vermutlich ist das doch keine so gute Idee.
Auswanderermesse
»Der Veranstalter der ›Expat‹ Essen rechnete 2011 mitrund12 000 Besuchern. Wie viele danach das Land verlassen haben, ist nicht bekannt.«
Natascha sieht verdammt blendend aus, und das, obwohl der Tag uns bislang nur trübes Wetter beschert hat. Der Himmel ist grau, die Stimmung in der ganzen Stadt gedrückt, man hört kein Lachen auf den Straßen, und die Menschen treten stumm und schlecht gelaunt in die mit Hundekacke gefüllten Plastiktüten. Mir ist schleierhaft, wozu Hundebesitzer das Frischgestuhlte ihrer Tölen aufsammeln, wenn sie es danach frisch verpackt wieder auf den Gehweg werfen. Wollen sie sich nur kurz die Hand wärmen, oder glauben sie tatsächlich, der Menschheit damit einen Gefallen zu tun? Ich werde es nie erfahren, auch nicht von Natascha, die strahlt, als ich das Kranz in der Hans-Sachs-Straße betrete. Meinen Anruf hatte sie erst wegdrücken wollen. Weil sie sich aber nicht vorstellen konnte, warum in aller Welt ich mich bei ihr melden würde, hat sie dem Wegdrückimpuls widerstanden. Nachdem ich ihr dann berichtet habe, dass ich eine Beziehungskrise habe und ein paar Tipps von ihr brauche, kam der Vorschlag, sich persönlich zu treffen, von ihr. Zum Glück hat sich Sven verabschiedet, um die Frettchen zu füttern.
Natascha hat im Aufstehen ihr Handy weggelegt, öffnet ihre Arme und säuselt mir ein lang gezogenes » Ha-iiiii « entgegen. Ich lass mich zögerlich von ihr drücken, finde das Bussi zur Begrüßung irgendwie fehl am Platz. Das würde aber jeder, der von einer Frau umarmt und abgebusselt wird, die einen bei der letzten Begegnung mit den Worten » und lass uns bitte nicht Freunde bleiben« verabschiedet hat.
» Danke dir«, antworte ich, nachdem ich mich aus dem für meinen Geschmack etwas zu langen Drücken gelöst habe. Natascha blickt mich zufriedener an als der Dalai Lama, obwohl ich ihr schon am Telefon gesagt hatte, dass es mir kacke geht. Es kann natürlich sein, dass dies der Grund für ihre dick aufgetragene gute Laune ist. Da sie nichts sagt, muss ich das Gespräch eröffnen und versuche, das möglichst harmlos zu gestalten.
» So sieht man sich also wieder.«
» Ja. Gut schaust du aus.«
» Noch mal danke. Das kann ich aber auch zurückgeben.«
Da ich sie danach nur freundlich mustere, übernimmt Natascha endlich die Small-Talk-Führung. Ich bin nicht sonderlich gut darin, mich für andere zu interessieren. Die meisten deutschen Menschentypen habe ich schon getroffen, die wenigsten überraschen mich noch, oft sind sie nur die Abzüge anderer, mit minimalen Abweichungen, die man wohl Individualismus nennt. Mich selbst nehme ich da gar
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