Frettnapf: Roman
Wochen auf einen Ausfall von Markus wartet, dass er seit Monaten Abend für Abend im Studio 2 steht und für den Server moderiert, und dass er mich gerade aus sehr guten Gründen abgrundtief hasst.
» Pass auf, das ist heute Abend ein Test. Wenn ich das in den Sand setze, sage ich Jerry, dass–«
» Warum sollte Jerry auf dich hören?«
» Weil wir alte Weggefährten sind. Und jetzt zeig mir bitte, wie die ganze Technik hier funktioniert.«
» Okay. Es ist nur ungewöhnlich.«
» Gewöhn dich dran.«
Rene hat zum Glück seinen Schneid irgendwo im Internet gekauft und traut sich offenbar nicht so richtig, gegen mich aufbegehren. Er führt mich ins Studio, wo gerade die Moderatorin des » Friday Night Warm-Up« ihren pinkfarbenen Kopfhörer und ihren iPad einpackt.
» Hi, neu hier?«
» Nee, ich mache seit Jahren die Sendung nach dir.«
Die Partymaus findet das amüsant und stellt sich als Angie vor, weil ihre Eltern den Stones-Titel gehört haben, als sie gezeugt wurde. Mehr Information, als ich benötigt hätte und auf die ich nicht mal mit einem anständigen Witz zu meinem Namen kontern kann.
» Jens. Meine Eltern hatte keinen Radio.«
» Macht nichts«, zerschmettert Angie meinen müden Scherz, der doch gar nicht so schwer zu verstehen war. » Seh ich dich später noch im 089 oder im CO 2 ?«
Da Angie ausgerechnet zwei Clubs aufgezählt hat, in denen ich noch nie war und noch nicht mal wüsste, wo sie liegen, hebe ich bloß die Schultern.
» Keine Ahnung, mal sehen, wie fit ich noch bin.«
» Cool. Tschausi.«
Ich werde als Wildfremder gebusselt, dann düst Angie los. Sie ist so ein Losdüse-Typ, jemand, der das auch über sich sagt. Im Gegensatz zu mir, ich bin mehr so einer, der dann mal losgeht. Kleine Merkmale, grundsätzliche Unterschiede. Rene frischt meine schwammige Erinnerung an die Technik auf, offensichtlich bedacht, mir nicht zu viel zu verraten. Keine kleinen Kniffs und Tricks, nur was über welchen Kanal kommt, wie die Songs gestartet werden, und auf welchem Kanal mein Mikrofon liegt. Dass er dabei einen kleinen Fehler macht und behauptet, die Musik würde über Kanal zwei geregelt, unter dem ein kleines Etikett mit der Aufschrift » Gast« klebt, gönne ich ihm. Es wird sein jämmerlicher Versuch gewesen sein, mich elegant auflaufen zu lassen.
Radiomesse
»Die Radiodays ist die größte Hörfunkmesse Europas. Siefindet seit 2010 jedes Jahr in einer anderen europäischen Metropole statt.«
Jessi saß in unserem Wohnzimmer am Fenster, trank eine Tasse Tee und hatte das kleine, spritzwassergeschützte Radio aus dem Badezimmer neben sich liegen, das mir meine Eltern vor Jahren zu Weinachten geschenkt hatten. Einer dieser Grabbelkistenartikel von Conrad, die meine Mutter aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen immer in einer Schublade parat hat. Keine Ahnung, wem sie spontan mal ein Thermo-Hydrometer, ein Knopfzellenset oder LED -Teelichter zu schenken gedenkt, vielleicht sind das aber auch nur auf Vorrat für mich erstandene Weihnachtsbaumfüllgeschenke, mit denen sie Jahr für Jahr gegen die große Freifläche unter dem Baum ankämpft.
Jedenfalls hat Jessi mir auf diesem Gerät zugehört, war Ohrenzeugin des Beginns meiner großen Radiokarriere. Zumindest schloss ich im Studio zur gleichen Zeit nicht aus, eine Sendung mit einem deutlich messbaren Zugewinn an Hörern hinlegen zu können. Denn, und das war meine ehrliche Meinung, wozu soll man diejenigen bespaßen, die so oder so zu einer Party, in einen Club, auf jeden Fall zu einem geilen Freitagabend unterwegs sind, anstatt diejenigen anzusprechen, die alleine, einsam oder mit gebrochenen Herzen zu Hause vor dem Radio sitzen.
Fest im Sattel dieser Überzeugung begann ich um Punkt acht Uhr im Studio von Hip FM meine Sendung. Rene hatte es geschafft, mich bis zur letzten Sekunde davon abzuhalten, mir irgendwas bereitzulegen, also musste ich improvisieren. Nicht meine Stärke, doch die Idee, die ich verfolgte, war meines Erachtens groß genug, um das zu kaschieren.
Ich zog die Musikregler nach unten, startete ein sanftes Musikbett, also Hintergrundmusik für meine Moderation, und begann. Jessi drehte zur gleichen Zeit das mickrige Radio auf.
» Guten Abend, ich bin Jens Fischer, und springe heute für, äh, Markus ein, der leider, keine Ahnung, krank ist, schätze ich mal. Markus, gute Besserung. Und falls du tot sein solltest, kann ja auch sein, dann dreh dich jetzt bitte nicht im Grab um, weil ich deine Stammhörer heute auf eine
Weitere Kostenlose Bücher