Frettnapf: Roman
Reise einladen will. Ach, Scheiße, das klang jetzt blöd. Nee, ich hab vielmehr vor, die kommende Stunde zu nutzen, um eine Geschichte zu erzählen, die alles andere als alltäglich ist. Mehr davon nach dem nächsten Hit, äh, verdammt, ich kann gerade nicht sehen, was da jetzt kommt, egal. Müsste aber so gehen…«
Ich drückte auf den Knopf unter dem Regler für Musik, hörte jedoch nichts, bis mir klar wurde, dass ich den verdammten Regler ja auch wieder hochschieben musste.
» Scheiße«, war das Letzte, was von mir über den Äther ging, da ich das Mikrofon nicht geschlossen hatte. Anfängerfehler, konnte man verzeihen; der nun endlich laufende Euro-Trash-Hit würde die Hörer schon darüber hinwegtrösten. Wie ich den ins Studio stürmenden Rene jedoch beruhigen sollte, wusste ich nicht. Er meinte, dass Jerry am Telefon sei und ich mit der Scheiße sofort aufhören solle.
» Mit der Musik?«
» Nein, mit dem Kack, den du da erzählst.«
» Hey, er hat mich hier reingestellt, und ich mache jetzt das Programm.«
» Aber nicht so. Ich bin–«
» Du bist jetzt still, oder ich häng dich!«
Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass eine von Hondo übernommene und von mir geäußerte Drohung derart einschlagen könnte. Gut, mir hatte sie damals auch gehörig zugesetzt, aber da war sie von einem Typen gekommen, der mich mit seinem kleinen Finger auf den Teppich hätte schicken können. Da Rene sich nun zurückzog, hielt ich es für angemessen, etwas nachzulegen, nur so, zur Sicherheit.
» Und mach die Tür zu, du alte Scheiße!«
Gesagt, getan. Den Vogel, den er mir anschließend durch das Fenster zwischen Studio und Redaktion zeigte, fand ich schon wieder drollig. Weniger, dass er sich sofort ans Telefon setzte und vermutlich Jerry anzurufen versuchte. Ich musste mich also beeilen. Im Handumdrehen war das Kacklied abgewürgt und ich wieder auf Sendung. In meiner Hektik vergaß ich sogar das Musikbett wieder laut zu machen, Hip FM war ab jetzt eine musikfreie Zone, mein Talk-Radio.
» Genug von diesem Tss-tss-Scheiß, es gibt Wichtigeres zu hören. Und zwar die Geschichte eines Typen, der von Idi Amin kastriert wurde.«
Das hat sich in der Vergangenheit als sicherer Lacher beim Einstieg in meine Erzählung erwiesen. In weniger als vier Minuten berichtete ich von Svens missglücktem Frettchenzuchtversuch. Und wie jedes Mal, wenn ich davon spreche, spürte ich einen Phantombiss in meinem Schritt.
Ich musste mich beeilen, weil Rene vor dem Studio wie ein Tiger auf und ab streifte. Meine Erzählung schien ihn nicht im Geringsten zu berühren. Was für ein unfassbarer Feigling dieser Kerl war, dass er es sich nicht zutraute, mich in einer handfesten Auseinandersetzung überwältigen zu können. Stattdessen signalisierte und gestikulierte er wild in meine Richtung, um schlussendlich eine schnell auf Papier gekritzelte Nachricht ans Fenster zu klatschen: » JERRI KOMMT !«
Ich streckte als Antwort meine Arme in die Höhe, wie beim Y von YMCA , war aber nicht sicher, ob Rene diese geniale Mischung aus Korrektur und mimischer Gleichgültigkeitsdarstellung verstehen würde. Außerdem musste ich mich auf das konzentrieren, was ich zu sagen hatte.
» Jetzt steht dieser kastrierte Mann hier im Studio und verscheißt es sich offenbar gerade mit dem Programmchef. Jerry, falls du das hörst: Es tut mir leid, aber es geht um alles, für das es sich für mich zu leben lohnt. Das klingt pathetisch– und so meine ich es auch.«
Kaum hatte ich diesen Satz gesprochen, fiel mir zu meinem Schrecken ein, dass Jessi womöglich gar nicht zuhörte. Ich konnte nicht mal mit Sicherheit sagen, ob wir ein funktionstüchtiges Radio im Haus hatten. Ich musste sie anrufen!
» Um meine Geschichte zu bestätigen, möchte ich nun die Frau in die Leitung holen, die gerade schwanger zu Hause sitzt und das hier hoffentlich hört. Jessi, mit weichem J, nicht Tschessi. Warum das so ist, fragen wir sie gleich. Ich hoffe, ich bekomme das hin. Sekunde.«
Statt einfach ein Lied zu starten und mich mit der Telefontechnik zu beschäftigen, nahm ich Hip FM einfach mal vom Sender. Zumindest musste es so für alle wirken, die mir lauschten, denn da war nichts mehr zu hören. Ich hob das Studiotelefon ab, wählte unsere Festnetznummer und war extrem erleichtert, als Jessi dranging.
» Ich höre es, Jens. Und es ist schrecklich«, waren ihre ersten Worte. Ihr Lächeln kam jedoch ganz deutlich rüber, auch wenn ich mir der Peinlichkeit
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