Freude am Durchblick
zieht.
Häufig kompensieren Menschen diesen versteckten Höhenschielfehler, indem sie durch Schiefhaltung des Kopfes das Auge, das zu niedrig ansteuert, in die entsprechende Höhe bringen. Dies führt zu Muskelanspannungen im Hals-Nacken-Bereich und später zu Abnutzungserscheinungen der Halswirbelsäule.
Umgekehrt kann es auch sein, dass Körperverspannungen zu Augenfehlstellungen führen. Ein Beispiel:
Der zwölfjährige Tobias kam mit plötzlich aufgetretenen Sehstörungen in meine Praxis. Die nachfolgenden Fotos (Netzhautaufnahme) zeigten Spannungen im Auge. Die Messung ergab eine Kurzsichtigkeit von – 1,5 Dioptrien und einen Höhenschielfehler von 2,5 Prismen in der Höhe und 2,0 Prismen in der Seite. Die Sehleistung lag bei 30 %.
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Netzhautaufnahme vor der Therapie
Gleichzeitig klagte Tobias über Probleme in Schulter und Hüfte. Auf Nachfrage ergab sich, dass Tobias kürzlich von einem Trampolin ins Schwimmbecken springen wollte und dabei mit einem Fuß hängen geblieben war. Die Panik in seinem Körper, die Angst vor dem Ertrinken, der Geist war schon im Wasser, der Körper hing noch im Trampolin fest – all das war Ursache für die massive Verspannung des Körpers und des Auges. Mithilfe von Körper- und Augenübungen und dem Erkennen der Ursache konnte die Spannung gelöst werden. Eine spätere systemische Intervention unterstützte den Heilungsprozess.
Zwei Monate später kam Tobias erneut in meine Praxis. Eine Überprüfung der Augen ergab, dass die vorhandene Fehlsichtigkeit auf – 0,5 Dioptrien reduziert war. Die Sehleistung betrug mittlerweile 100 %. Eine prismatische Korrektur war nicht mehr notwendig. Die erneute Netzhautaufnahme zeigte, dass die Spannungen in den Augen verschwunden waren.
Netzhautaufnahme nach der Therapie
Wir sehen an diesem Beispiel, warum es so wichtig ist, eine Sehtherapie mit psychotherapeutischen Interventionen zu begleiten.
Horizontale Abweichung
Es gibt ein offenes oder verstecktes Schielen nach innen oder nach außen. Abweichungen der Augenstellung von der Sollposition – beide Augen stellen sich auf denselben Punkt ein – nennen wir heute »Winkelfehlsichtigkeit«. Das ist ein häufiger »Augenfehler« bei Legasthenie. Wir lesen von links nach rechts. Dabei wandern zuerst beide Augen zum linken Rand der Zeile. Primär ist hier das linke Auge das Führungsauge. Jetzt bewegen sich beide Augen mehr zur Mitte der Zeile hin. An einer bestimmten Position greift das rechte Auge auch fokussierend in das Sehgeschehen ein. Besteht ein Problem im Gleichgewicht der Augenmuskulatur, streiten beide Augen sozusagen um die Dominanz.
Meist tritt dieses Problem bei Kindern auf. Das vorher geforderte Auge will entweder die Führung behalten oder verabschiedet sich ganz schnell (Folge: Auswärtsschielen). Die Kinder verwechseln hier durch die Augensprünge gerne ie und ei sowie d und b. Sie finden nicht mehr die Stelle, auf die sie kurz vorher gesehen haben. Das bereitet dem Kind sehr viel Stress. Häufig wird es noch geschimpft wegen fehlender Konzentration. Hier hilft eine prismatische Brillenkorrektur häufig als erste Maßnahme. Zudem sollte abgeklärt werden, ob Probleme im Skelett, an der Halswirbelsäule oder der entsprechenden Muskulatur vorliegen. Das nachfolgende Sehtraining hilft die entsprechende Muskulatur zu regulieren und die Anspannung und Entspannung der Gegenspieler ins Gleichgewicht zu bringen.
Liegen emotionale Themen zugrunde, zum Beispiel Scheidung der Eltern oder Tod eines geliebten Menschen, ist eine psychotherapeutische Begleitung angezeigt. Entscheidend ist, dass nicht das Kind die Therapie braucht, sondern die Eltern. Da sie in ihrem eigenen Problem stecken, können sie die Ursache oft nicht erkennen und ohne Unterstützung häufig auch nicht bearbeiten.
Ein Einwärtsschielen zeigt den Wunsch, geliebt zu werden (Liebesstruktur). Eine Schielposition nach außen bedeutet Widerstand: »Lass mich ja in Ruhe oder ich greife dich an« (Kampfstruktur).
Schielen und Winkelfehlsichtigkeit
Schielfehler können offensichtlich oder versteckt sein. Offensichtliches Schielen ist für jeden sichtbar. Hier findet kein beidäugiges Sehen statt. Das Gehirn kann die Seheindrücke beider Augen nicht mehr zu einem gemeinsamen Bild verschmelzen. Es entstehen entweder Doppelbilder oder der Seheindruck des schielenden Auges wird komplett unterdrückt (Suppression).
Der Begriff Winkelfehlsichtigkeit wurde erstmals im Jahr 1993 eingeführt. Hierbei handelt
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