Freude am Durchblick
Astigmatismus bei der Sehtherapie, beim Sehtraining und bei der Brillenverordnung berücksichtigt werden muss. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Klient nicht nur in seinem alten Muster gefangen bleibt, sondern dieses sich auch noch verstärkt. Wenn die Brille den Astigmatismus nicht berücksichtigt, führt dies unter Umständen zu einem zusätzlichen Linsenstress, welcher die Neigung zur Kurzsichtigkeit und den Astigmatismus erhöhen kann.
Zudem lernen wir von Patrick, dass das oftmals gepriesene Patentrezept »Nimm die Brille ab und sei glücklich« manchmal auch das Gegenteil des Erwünschten bewirken kann. Es kommt also auf den Einzelfall an und bedarf sehr viel Feingefühl, um die optimale Intervention für den Klienten herauszufinden.
Die Therapiebrille bei psychogener Blindheit
Bei der psychogenen Blindheit sind das Auge und der gesamte Organismus medizinisch in Ordnung. Der Betroffene sieht jedoch trotzdem nichts. Hier ist
der psychische Zusammenhang besonders deutlich und eine Therapiebrille kann oftmals gute Dienste leisten.
Praxisbeispiel
Eines Tages rief in meiner Praxis ein befreundeter Psychotherapeut an und erzählte mir von einer Patientin, der 14-jährigen Elke, die eigentlich gute Augen hatte, die aber plötzlich auf ihrem rechten Auge nichts mehr sehen konnte.
Klinische Untersuchungen ergaben keinen organischen Befund für diese Blindheit. Alle therapeutischen Versuche, die Sehleistung auf dem rechten Auge wiederherzustellen, waren fehlgeschlagen. Der Therapeut bat mich, mir Elke einmal anzusehen.
Meine Anamnese ergab: Elke war ein Vaterkind. Ihr Vater war gerade von zu Hause ausgezogen. Sie erlebte die dramatischen Auseinandersetzungen ihrer Eltern anlässlich der Scheidung als Trauma. Sie war mit ihrer Mutter und den Geschwistern alleine in dem ehemals gemeinsam bewohnten Haus zurückgeblieben. Elke hatte den Eindruck, dass ihre Mutter durch die Scheidung überfordert war, und fühlte sich deshalb für das Befinden ihrer Mutter verantwortlich.
Bei näherem Befragen erzählte Elke, wie es zu dieser Blindheit gekommen war: Vor etwa einem Jahr, als zu Hause die Scheidungsangelegenheiten weiterliefen, war Elke bei einem Schulausflug beim Skifahren gestürzt und hatte sich eine leichte Platzwunde am Kopf zugezogen. Als sie das rote Blut auf dem weißen Schnee sah und das Entsetzen ihrer Schulfreundinnen mitbekam, erstarrte sie vor Schreck. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie mit ihrem rechten Auge plötzlich nichts mehr sehen.
Dies bedeutet: Auslöser für die psychogene Blindheit war der Unfall. Ursache war jedoch der Stress im Zusammenhang mit der Trennung ihrer Eltern. Dieser Stress war jedoch verdrängt. Um den therapeutischen Prozess in Gang zu setzen, griff ich zu einem Trick.
Ich verschlechterte die Sehleistung des linken, sehenden Auges, indem ich während der Therapiesitzung einige Minuten lang eine Kontaktlinse von + 3,0 Dioptrien auf das linke Auge setzte. Ich »vernebelte« somit den Seheindruck des linken Auges. Dann begann ich das Therapiegespräch, bei dem ich Elke die traumatischen Erlebnisse bewusst machte, die sie bisher verdrängt hatte. Dann nahm ich die Kontaktlinse wieder aus dem Auge und entließ das Mädchen.
Eine Woche später rief mich Elkes Mutter aufgeregt an. Elke hatte in den Nächten nach der Therapiesitzung sehr schlecht geschlafen. Doch nun konnte
sie auf einmal wieder so gut sehen wie zuvor. Offenbar hatte ein therapeutischer Prozess begonnen.
Psychologisch gesehen hatte Elke mit der Scheidung ihren Vater und den Zugang zu seiner Welt verloren, was sich zwischenzeitlich in ihrer plötzlichen Blindheit niederschlug.
Der Erfolg dieser kombinierten Therapie bestand darin, durch die kurzzeitige, absichtliche Verschlechterung der Sehleistung ihres linken Auges (Mutterauge) einen künstlichen Stress zu erzeugen, der Elke dazu anregte, sich an die Sehleistung des rechten Auges (Vaterauge) zu erinnern. Bedingt durch den benebelten Seheindruck des linken Auges war in Elke unbewusst der Impuls gesetzt worden, sich auf ihren Vater und auf seine Qualitäten und damit wieder auf die volle Funktionsfähigkeit ihres rechten Auges zu besinnen. So konnte im Rahmen der Sehtherapie wieder die volle Sehleistung erreicht werden.
Systemisch wissen wir, dass es immer ein Ungleichgewicht nach sich zieht, wenn ein Kind sich als »die Große« und die eigene Mutter als »die Kleine« erlebt. Im Grunde genommen hatte Elke anlässlich der Scheidung unbewusst den Platz des Vaters
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