Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
gewesen. Sie war überzeugt davon, dass das Ganze in Zusammenhang mit Neonazis stehen musste. Ob ich denn nicht die historischen Fotos mit den Hakenkreuzfahnen am Freud-Haus kenne? Freud habe schließlich als Jude nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland fliehen müssen. In Österreich gäbe es zumindest eine Partei, aus deren Kreisen immer wieder antisemitische Aussagen kämen. Und es gäbe eine Menge Menschen, die diese Partei wählen. Ihr Führer habe sich sogar mit ehemaligen SS-Männern getroffen, das sei nicht zu leugnen. Ich seufzte und fragte sie, wie da der Mord am jungen Psychiater in ihr Bild passe. Ich fand die österreichische Politik mies genug, die Schwarz-Weiß-Malerei amerikanischer Medien war gar nicht nötig und in diesem Fall war sie überhaupt absurd.
Die Redakteurin entwickelte ihre These weiter: Wahrscheinlich gehe es um Hass gegen die Psychoanalyse, um einen tief sitzenden, psychoanalytisch interessanten Hass, der damit zu tun habe, dass der Vater der Psychoanalyse eben Jude gewesen sei.
Ignoranz treffe die Situation auch in diesem Fall viel eher, versuchte ich ihr klar zu machen. Die meisten Menschen unseres schönen Landes wären noch nie im Freud-Museum gewesen und über Psychiater werde eher gespöttelt. Das sei eben anders als in den USA, sicher nicht besser, aber von Hass auf die Psychoanalyse hätte ich bisher noch nichts gemerkt. Und außerdem: Der ermordete Psychiater sei kein Analytiker gewesen, sondern Psychotherapeut. Mir war zwar der Unterschied nicht ganz klar, aber der Redakteurin schien er einiges zu sagen. In New York hatte ich zwar Freundinnen und Freunde gehabt, die ohne ihren Analytiker offenbar nicht mehr leben konnten, aber damals war ich das Gefühl nicht los geworden, dass es sich dabei eher um eine Art Gesellschaftsspiel handelte. Motto: Nur simple Naturen brauchen sich nicht analysieren zu lassen. Einen Psychiater zu haben hieß kompliziert, interessant, vielschichtig zu sein. Allerdings konnte ich mich auch erinnern, dass es schon zu meiner Zeit in New York einen gewissen Trend weg von den Analytikern hin zu den Jogalehrern und anderen fernöstlichen Gurus gegeben hatte. Psycho-Moden eben.
Woran der Psychotherapeut gestorben war, verriet ich meiner amerikanischen Kollegin nicht. Mit viel Glück konnte ich über die vergifteten Bonbons ja doch übermorgen exklusiv berichten. Sie habe vor, einen Kollegen nach Österreich zu schicken, erzählte sie noch. Natürlich könnte ich mich mit ihm treffen, antwortete ich. Immerhin war es schön, wieder einmal englisch zu reden. Auch ein Weg, um der Enge zu entkommen.
Gerade als ich die Redaktion verlassen wollte, rief Vesna an. „Ich habe in Nachrichten gehört, es gibt den zweiten Psycho-Mord. Mira Valensky, du musst aufpassen. Sonst bist du Dritte.“
„Und was soll ich dagegen tun?“
„Du brauchst Schutz. Ich begleite dich. Wie früher.“
„Du hast Arbeit.“
„Am Abend.“
„Du hast deine Zwillinge.“
„Die sind gescheit. Und der Mann kann ihnen kochen. Zwillinge werden es überleben. Hoffentlich.“
Ich seufzte. Ihre Fürsorge tat gut. Vesna kümmerte sich um mich. Immer, wenn es brenzlig werden konnte. Oder kümmerte sie sich nur um mich, weil sie den Nervenkitzel brauchte? „Willst du mich beschützen oder willst du ein Abenteuer?“, fragte ich.
„Abenteuer, was sonst. Außerdem bist du gute Kundin. Solche sollen nicht wegsterben.“
Was hatte ich erwartet? „Als ob du nicht in Bosnien schon genug Abenteuer erlebt hättest.“
„Krieg ist kein Abenteuer, Krieg ist Krieg. Und Abenteuer ist Spaß. Und Spaß braucht der Mensch. Außerdem sollte Mörder nicht frei herumrennen. Und ich muss aufpassen auf dich.“
Ich versprach, mich nicht aus der Redaktion zu rühren, bis sie kommen und mich abholen würde. Dann nahm ich aus meiner kleinen Geheimflasche in der untersten Schublade zwei große Schluck Whiskey. Mir wurde innerlich angenehm warm. Endlich wieder ein gutes Gefühl.
Ulrike hatte irritiert gewirkt, als ich mit Vesna im Schlepptau zu ihr gekommen war. Sie erschrak, als ich ihr Vesna als Freundin und ganz persönliche Schutztruppe vorstellte. Jetzt saßen wir im Wohnzimmer auf einer jener Sitzgruppen, von denen Untrainierte kaum mehr aufstehen können.
„Vielleicht brauche ich auch einen Beschützer“, murmelte sie.
„Wäre gut“, erwiderte Vesna herzlos. „Gibt nur zwei Menschen, die mit beiden Morden zu tun haben und leben: Sie und Mira Valensky. Wenn Sie nicht
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