Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
dass es sich bei dem Wohnhaus um keines mit einem unüberwindlichen Portier handeln würde. Aber besonders wohlhabend schien Janes Familie nicht zu sein, sonst wäre sie wohl kaum in der Pension „Alexandra“ abgestiegen.
Mit schnellen Schritten ging ich die Nineth Avenue hinauf, die direkt in die Columbus Avenue überging. Das Adressensystem New Yorks hat für Nichteingeweihte seine Tücken. Für Eingeweihte auch. Aber die Wohnblocks waren nicht zu übersehen. Es waren keine vornehmen Apartmenthäuser, aber immerhin solide Häuser mit soliden Wohnungen in annehmbarer Lage. Ich hatte Glück. Vor mir ging eine Frau mit einem Kinderwagen durch die Glastür, sie war durch ihren brüllenden Nachwuchs abgelenkt. Ich hielt mich dicht genug hinter ihr, um mit ihr ins Innere des Hauses zu schlüpfen.
Ich wusste, dass die Wohnung im 14. Stock lag. Ich nahm einen der chromfarbenen Lifte nach oben, ging den künstlich beleuchteten Gang entlang und läutete an der Wohnungstür der Coopers.
Gut möglich, dass Janes Eltern tagsüber arbeiteten. Ich läutete noch einmal. Zwei Schlösser wurden aufgesperrt, dann war im Türspalt über einer massiven Sicherheitskette ein von vielen hellblonden Löckchen umrahmtes Gesicht zu sehen.
„Mrs. Cooper?“, fragte ich.
Sie nickte. „Was wollen Sie?“
„Ich bin die Freundin einer Angestellten des Wiener Freud-Museums, die nun zu Unrecht beschuldigt wird, ihre Tochter ermordet zu haben.“
Die Tür fiel ins Schloss.
Dabei hatte ich mir den Satz genau überlegt. Aber ihre Tochter war tot. Wie konnte ich kommen und noch einmal alles fragen, alles hören, alles wissen wollen? Andererseits: Genau deswegen war ich da. Und auch Ulrike hatte man einiges angetan. Ich kramte nach meinem Notizblock und schrieb auf Englisch: „Liebe Frau Cooper, verzeihen Sie, dass ich die schrecklichen Ereignisse noch einmal aufwühle. Aber eine Unschuldige ist unter Verdacht geraten. Die Medien machen eine Mörderin aus ihr. Vielleicht kann ich helfen, den wahren Mörder zu finden. Vielleicht ist es dafür wichtig, mit Ihnen zu reden und zu sehen, wie Jane gelebt hat. Ihre Mira Valensky.“
Ich schob den Zettel unter der Tür durch und wartete. Fünf Minuten vergingen. Ich war mir fast sicher, dass Frau Cooper noch im Vorraum stand und überlegte.
Schließlich ging die Tür langsam auf.
Jane Coopers Mutter war schlank und um die fünfzig, sie trug einen hellblauen Hausanzug aus Frottee. Ihre Locken waren mit Sicherheit nicht natürlich gewachsen. Unter den Augen hatte sie tiefe Schatten. Sie winkte mich wortlos nach drinnen. Es war eine typisch amerikanische Mittelstandswohnung. Ein kleiner Vorraum, zu viele Möbel und Ziergegenstände. Das niedrige Wohnzimmer wurde von einer dunkelbraunen Ledergarnitur dominiert. Synthetische Spannteppiche, das hier überaus beliebte „wall-to-wall-carpeting“. Frau Cooper hatte immer noch kein Wort gesagt.
Ich räusperte mich. „Entschuldigen Sie …“
„Sie haben Glück, dass ich da bin. Ich arbeite als Krankenschwester und heute ist mein freier Tag. Ich habe mir nicht Urlaub genommen, die Arbeit lenkt mich ab.“
Ich nickte. „Danke, dass Sie mit mir reden wollen.“ Irgendwann würde ich ihr sagen müssen, dass ich Journalistin war. Später.
„Ich weiß nicht“, erwiderte sie und hob unsicher ihre Hände. „Wir sind von den Journalisten belästigt worden. Und vorher gab es die Untersuchung durch die Polizei. Und bis jetzt gibt es die ganze Unsicherheit darüber, was in Wien passiert ist. Mein Mann und ich, wir waren noch nie in Wien.“
„Und Janes Großeltern?“
„Auch nicht. Meine Eltern stammen aus Pennsylvania und die Eltern meines Mannes haben in Kalifornien gelebt. Was haben Sie von der Frau gesagt, die zu Unrecht unter Verdacht geraten ist? Sind Sie ganz sicher, dass es nicht sie war, die …“
Ich nickte. „Ja, ich bin mir ganz sicher. Die Frau arbeitet im Freud-Museum und sie war gleichzeitig die Freundin des ermordeten Psychiaters.“
„Ich habe davon gehört, dass danach noch ein Psychiater ermordet worden ist. Kann das nicht Zufall sein?“
„Schon, aber in Wien gibt es lange nicht so viele Psychiater wie in New York und es ist sehr selten, dass einer von ihnen ermordet wird. Wenn der dann auch noch Kontakt zu einem anderen Mordopfer hatte … Wissen Sie überhaupt davon?“
„Ja, die Polizei hat mich danach gefragt. Ich hatte keine Ahnung, dass Jane diesen Mann gekannt hat. Ich bin mir sicher, dass sie ihn erst in Wien
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