Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
in „Manhattan“, zumindest hatte ich etwas Ähnliches in Erinnerung. Ich machte einige Tanzschritte. Niemand sah mich, ich tanzte im 23. Stock zwischen den Wolkenkratzern, ein winziger Punkt von dem Hubschrauber aus, der eben vorbeiflog. Die Luft war lau und mit dem leichten Wind konnte man das Meer riechen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich solche Sehnsucht nach New York hatte.
Dieser Abend sollte ganz allein mein Abend sein. Ab morgen würde ich mich um den Mord im Freud-Museum kümmern.
Wenig später ging ich die Straße entlang, die Bilderhandlung gab es immer noch, bog in die Second Avenue ein, genoss die Häuserschluchten, die Menschen, die gelben Taxis, die über die holprige Straße brausten. Mein Ziel war ein irisches Pub. Es existierte schon viel länger als die meisten der sonst kurzlebigen Lokale in dieser Stadt. Es würde wohl auch die letzten Jahre überstanden haben. Die Steaks in diesem Pub waren legendär und bessere Folienkartoffeln hatte ich nirgendwo auf der Welt gegessen.
Ich wurde zu einer der plüschigen Nischen geführt. Das war auch etwas, das ich beinahe vergessen hatte: In Österreich bekam man als Frau allein nur allzu oft den schlechtesten Tisch, in New York kümmerte sich das Personal um allein reisende Frauen besonders zuvorkommend. Ich nahm die überdimensionale Speisekarte und seufzte. Natürlich kannte ich die Schattenseiten von New York, ich hatte ja hier zwei Jahre verbracht. Wer reich oder zumindest wohlhabend war, konnte in dieser Stadt wunderbar leben. Wer arm war, galt als selbst daran schuld. Arme und Reiche waren getrennt, und wenn nicht, dann taten die Reichen einfach so, als gäbe es die Armen und Obdachlosen bloß als Projektionsfläche für irgendwelche schicken Charity-Partys. Und die Armen verachteten die Reichen. Eine Verachtung, die bei gewissen Typen schnell in Zorn und Aggression umschlagen konnte. Ich wollte ihnen nicht begegnen, aber verstehen konnte ich sie.
Ich bestellte das große Filetsteak, nahm dazu eine Folienkartoffel und gebackene Zwiebelringe sowie auf Empfehlung des Kellners ein Glas kalifornischen Zinfandel. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Im Hintergrund spielte ein Pianist alte Broadwaymelodien. New York, New York.
Ich schlief lange und tief, allein das war ein Geschenk. Wahrscheinlich war es mir in Wien einfach zu still in der Nacht. Was ich brauchte, war New York und kein Psychiater. Meiner war ohnehin tot.
Angesichts des opulenten Dinners verzichtete ich auf ein Frühstück im Coffee Shop neben dem Hotel. Obwohl mir allein der Gedanke an geröstete Kartoffeln, gebratenen Speck, Spiegeleier und den einen oder anderen Bagel das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Mira Valensky, du bist nicht wegen des Essens nach New York gekommen. Ich beschloss mir Zeit zu nehmen und zu Fuß zur Wohnung der Coopers zu gehen. Manhattan ist wie gemacht, um es zu Fuß zu durchstreifen. Ich begrüßte meine Lieblingsgebäude, war an einigen Stellen, die ich anders in Erinnerung hatte, verblüfft. Die Stadt veränderte sich dauernd, aber ihr Charakter blieb bestehen.
In meinen New Yorker Jahren hatte ich in einem der niedrigen Häuser der Upper Eastside gewohnt. Häuser im englischen Stil mit kleinen Vorgärten, einigen Treppen nach oben und schließlich der Eingangstür. Der damalige Mann in meinem Leben kam aus einer wohlhabenden Familie. Ich hatte zwei Jahre gebraucht um herauszufinden, dass er auch nichts anderes sein wollte als ein ewiger Sohn. Umsorgt, versorgt und ohne Interesse, selbst etwas zu geben. Er hatte ein Lokal und durch ihn habe ich die italienische Küche lieben gelernt. Niemand hat nur schlechte Seiten. Sein Vater war Gemüsegroßhändler, allerdings im internationalen Stil. Vielleicht würde ich ihn besuchen. Seine Familie stammte aus Sizilien und wie ein Sizilianer sah sein Vater auch aus. Klein, gedrungen, mit seiner ewigen Zigarre im Mundwinkel, mit seinen dunklen, wachen Augen und den schwarzen, mit Pomade geglätteten Haaren.
Ich durchquerte den südlichen Central Park. Sonne, Vogelgezwitscher, ein paar verspätete Jogger. Es war ein Tag, um sich mit einem Buch unter einen der großen Bäume zu verziehen und später dann ein Hot Dog zu essen. Aber ich hatte einen Auftrag. Also weiter.
Mit Absicht hatte ich mich nicht bei Familie Cooper gemeldet. Was würde man am Telefon einer Redakteurin aus Österreich schon sagen, die Näheres über die ermordete Tochter wissen wollte? Ich hoffte auf den Überraschungseffekt und darauf,
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