Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
wenig privates Zeug. Die meisten Unterlagen bezogen sich auf ihr Studium. Ein paar Liebesbriefe, die sie in einer Briefpapierschachtel aufgehoben hatte. Ich las sie, ohne Frau Cooper um Erlaubnis zu fragen. Die Briefe waren wohl schon vor einiger Zeit geschrieben worden. Der Schreiber Ken würde es nie zu literarischen Großtaten bringen. Aber sie waren voll tollpatschiger Verliebtheit und zweideutiger Anspielungen auf das Liebesleben im College. Ich würde Frau Cooper nach Janes Freunden und Freundinnen fragen müssen.
Seltsam, in die Welt eines Menschen einzudringen, der nicht mehr am Leben ist. Zeugnisse, Hefte mit eiliger Mitschrift. Fotos, die sie gemeinsam mit ihren Eltern im Grand National Park zeigten.
Im Bücherregal standen einige Romane, vor allem amerikanische Bestseller der letzten Jahre. Der Großteil der Bücher bestand aus psychologischer Fachliteratur. Es gab auch zwei Wörterbücher, das eine für Italienisch, das andere für Deutsch. Das deutsche sah ich mir genauer durch. Keine Anmerkungen, keine Hinweise. Einfach eine fleißige junge Frau.
Ich öffnete den Kleiderkasten. Eine Menge weiter Röcke und Jeans, zwei Kostüme. Die Mäntel hingen offenbar anderswo. Blusen, T-Shirts und Unterwäsche waren sorgfältig zusammengelegt und gestapelt. Hatte das ihre Mutter getan oder war sie selbst so ordentlich gewesen? In den Jeanstaschen fand ich ein altes Kinoticket und ein paar gebrauchte Papiertaschentücher. Nirgendwo ein Hinweis auf ihren Tod im Freud-Museum. Nirgendwo eine Verbindung zum Haus in der Birkengasse.
Ich sah unter das Bett. Als ob ich die Erste gewesen wäre … Nichts.
Ich hob jedes der Stofftiere von seinem Platz. In Filmen wären zumindest in einem von ihnen Diamanten verborgen gewesen oder auch Drogen. Jane Cooper schien ein in jeder Beziehung sauberes Mädchen gewesen zu sein.
„Nein, Jane hatte keinen Freund. Sie hat vor einem halben Jahr mit Ken Schluss gemacht. Sie waren vier Jahre zusammen, aber irgendwie hat es nicht mehr gepasst.“
„Und Freundinnen?“
Sie gab mir drei Telefonnummern.
Ich wollte schon gehen, als mir die Sache mit der Flüchtlingsberatungsstelle wieder einfiel. Frau Cooper reagierte ratlos. „Sie wollte doch nicht auswandern. Vielleicht hat sie geglaubt, dort Hilfe zu bekommen …“ Übergangslos begann sie zu weinen. „Niemand hat sie beschützt.“ Sie sah mich wütend an. „Ich hasse Wien.“
Ich stieg von einem Fuß auf den anderen. Jetzt zu gehen wäre mir herzlos erschienen.
„Entschuldigen Sie, aber ich bin mit all dem noch nicht fertig geworden. Es ist ein grauenvolles Jahr. Zuerst meine Schwiegermutter und dann meine einzige Tochter.“
Ich sah auf. „Ihre Schwiegermutter ist auch …“
„Nein, nicht was Sie denken. Sie starb einen hundertprozentig natürlichen Tod. Was man eben natürlich nennt. Sie ist an Krebs gestorben.“ Frau Cooper suchte in einer Lade des Vorzimmers nach einem Papiertaschentuch und schnäuzte sich.
„Entschuldigen Sie“, sagte sie noch einmal. „Mein Mann sagt immer, ich muss die Vergangenheit ruhen lassen. Ich muss an die Zukunft denken. Aber ich kann noch nicht. Ich sollte Janes Zimmer ausräumen und daraus ein Gästezimmer machen. Und ich sollte auch die Sachen, die Jane von ihrer Großmutter geholt hat, weggeben. Es hat keinen Sinn, in der Vergangenheit zu leben, sagt mein Mann. Aber kann man für die Zukunft leben, wenn man mit der Vergangenheit nicht abgeschlossen hat? Nicht abschließen kann?“ Sie schüttelte den Kopf.
„Jane hat Sachen ihrer Großmutter geholt?“
„Sie hat in einem Seniorenheim in Kalifornien gewohnt und nach ihrem Tod hat man uns gebeten ihre Sachen durchzusehen. Jane ist hinübergeflogen und hat ein paar Andenken geholt. Sie liebte solche Sachen. Sie hat einen uralten Koffer mitgebracht. Mein Mann wollte ihn gleich auf den Müll werfen, aber Jane sagte, sie wolle sich die alten Sachen ihrer Großmutter genau ansehen. Es könne kein Zufall sein, dass ihre Großmutter diesen Koffer aufgehoben habe. Sie ist bis zur Einäscherung in Kalifornien geblieben und wir haben die Urne dann hier in New York beisetzen lassen. Hier hat Janes Großmutter als junges Mädchen gewohnt. Mein Mann hat seine Mutter wirklich geliebt, aber er konnte nicht weg, er ist Manager eines großen Restaurants. Er hat gesagt, trauern könne er auch, ohne bei der Einäscherung dabei zu sein.“
„Ich habe den alten Koffer in Janes Zimmer nicht gesehen.“
„Er stand im Weg, es war nichts
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