Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
gelagert, einer von Goldmanns Vorständen hatte die Idee gehabt, hier einen Hightech-Operationssaal einzurichten, aber dafür fehlte das nötige Geld und so war der halb eingerichtete Saal zu einem Abstellraum umfunktioniert worden. Die Neonröhren an den Wänden waren teilweise defekt und blinkten im Takt seiner abgehackten Schritte. Trotz der Kälte, die hier unten herrschte, stand ihm der Schweiß auf der Stirn und vorsichtig öffnete er die Tür, sah sich immer wieder um, ob ihn auch niemand gesehen hatte. Erst im Lift entspannte er sich, blickte auf seine Armbanduhr, denn seine Privatpatientin war sehr ungehalten, wenn er sich bei einem Termin verspätete.
„Sie hat den Termin kurzfristig abgesagt“, informierte ihn seine Sekretärin, als er keuchend in sein Büro kam. „Sie muss ihren Aufschlag mit dem Tennislehrer analysieren“, fügte sie ungefragt hinzu und hob vielsagend die Augenbrauen.
„Danke“, erwiderte Goldmann knapp, dem der Sinn nicht nach Konversation stand, und verschwand schnell in seinem fensterlosen Büro.
Minutenlang saß er regungslos an seinem Schreibtisch und starrte gebannt auf die Styroporkugel, in der die Taubenfedern steckten. Zögernd streckte er den Arm aus und hielt seine rechte Handfläche darüber, ohne die Enden der Federn zu berühren. Er konzentrierte sich auf seinen Atem, versuchte möglichst gleichmäßig die Luft durch den Mund auszuatmen, um in einen meditativen Zustand zu gelangen. Aber diesmal wollte es ihm nicht gelingen, diesmal ging ihm einfach viel zu viel durch den Kopf. Also gab er ausnahmsweise und nur dieses eine Mal, wie er sich einredete, seinen Instinkten nach. Hektisch und mit schlechtem Gewissen zog er eine Feder aus der Styroporkugel und stieß sich die Spitze in seine rechte Handfläche. Der Schmerz beruhigte ihn augenblicklich und als er die Spitze der Taubenfeder wieder aus seiner Hand zog, war sie blutig und auch auf seiner Handfläche waren feine Blutstropfen zu erkennen. Aus seinem weißen Arztmantel zog er ein antiseptisches Tuch, das er auf die Wunde presste. Mit der unverletzten Hand zog er eine Lade seines Schreibtisches auf und legte ein dünnes Notebook auf Schreibtischplatte. Da die Klinik über WLAN verfügte, konnte er auf Knopfdruck seine Mails abrufen und entdeckte neben den üblichen Mails auch mehrere von Tony Braun, dem Leiter der Mordkommission.
Ohne den Text von Brauns Mail zu lesen, öffnete er sofort den Anhang und blicke minutenlang auf das Foto, das jetzt seinen gesamten Bildschirm einnahm. Noch immer pochte seine Handfläche vor Schmerz und er hätte sich gerne eine weitere Federspitze in die Hand gestoßen, um die Gedanken zu vertreiben, die ihn jetzt beim Anblick des Fotos überrollten. Mit zitternden Fingern öffnete er das zweite Foto. Diesmal war es das Detail eines weiblichen Oberarms, in dessen Haut ein blutiger Taubenflügel genäht war.
Goldmanns Gedanken schweiften ab, glitten zurück in die Vergangenheit, als er mit zerschmettertem Bein auf der Geröllhalde gelegen hatte, mitten im Sherpaland. Auf den verwitterten Steinen rings um ihn hockten die Vögel und warteten. Warteten nur darauf, dass er einschlafen würde, warteten nur darauf, ihn dann mit ihren spitzen Schnäbeln zu zerreißen.
„Auch hier wird die Haut zerrissen“, sagte er laut und schloss die beiden Fotodateien.
Hastig hinkte er nach draußen, nickte seiner Sekretärin finster zu und holte sich die notwendigen Patientenunterlagen für seine Visite. Unterwegs begegnete er einer philippinischen Schwester, die ihn an eine Madonna erinnerte und die er später für ein Experiment mit Gregor Pestalozzi einsetzen würde. Doch jetzt war es noch nicht so weit und deshalb lächelte er sie nur abwesend an, denn als Nächstes musste er sich um Chefinspektor Braun kümmern.
*
Tony Brauns Büro war bis auf den Schreibtisch und seinen Laptop leergeräumt, der Biervorrat, den er in einem Regal deponiert hatte, war jetzt in einer Kiste verpackt und wartete bereits auf den Abtransport. Braun war es schleierhaft, wie ein geregeltes Arbeiten in der schwarzen Halle drunten am Hafen möglich sein würde. Aus dem grauschwarzen Nebel, der die Stadt schon seit Wochen zu Boden drückte, begann es jetzt leicht und ungemütlich zu nieseln, dünne Regenspuren glitzerten auf den Fenstern und hinterließen feine Schlieren im Dreck.
Das Telefon klingelte und Goldmann, der Psychiater, hielt sich nicht lange mit einer Begrüßung auf, sondern kam direkt zur Sache.
„Ein
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