Freundinnen wie diese - Koslow, S: Freundinnen wie diese
zur Tür hereinkommen. »Wollen wir später noch einen Kaffee trinken gehen?«, fragte ich Talia.
»Ich muss zurück ins Büro«, erwiderte sie. »Auch ein erfundener Besuch beim Augenarzt kann nicht ewig dauern.«
»Dann lass uns doch heute Abend mal telefonieren«, sagte ich und ging zurück ans Ende der Stuhlreihen, wo Xander,seinen schwarzen Mantel ordentlich über dem Arm, zwei Plätze gefunden hatte.
»Was hat dich aufgehalten?«, flüsterte ich, als wir saßen.
»Ich bin froh, dass ich überhaupt hier bin.« Er wirkte etwas außer Atem. »In genau einer Stunde muss ich wieder los.«
Die Stunde verflog nur so. Zunächst stellte uns die Direktorin die Lehrer vor – und all diese klugen Menschen hatten natürlich einige Sommer lang Kinder in der Dritten Welt unterrichtet. Nach diesem kurzen Überblick über das schulische Angebot sang ein A-capella-Chor indianische Volkslieder, spielte eine Dixieland-Band und tanzte eine Kindertruppe eine Kurzversion von ›Schwanensee‹, begleitet von einem Streichquartett aus 1,20 Meter großen Musikern, die Tschaikowski mühelos meisterten. Erst nachdem Odette/Odile sich mehrmals verbeugt hatte, führte Dr. O’Neal die Eltern – es müssen an die hundert gewesen sein – wie eine Horde großer gaffender Gänse durch die Schule.
Ich zählte in keiner Klasse mehr als sechzehn Schüler und sah Gesichter aller Hautfarben, die sehr fröhlich aussahen. Kein einziger Lehrer wirkte Furcht einflößend, ausgebrannt oder benötigte dringend eine Zahnarztbehandlung, und die ganze Schule schien nur so von Gelächter und Gesundheit zu strotzen. Unvorstellbar, dass hier ein Kind Läuse bekommen oder, Gott behüte, dick werden könnte.
»Wir legen in unserer Schule sehr viel Wert auf die schönen Künste«, erklärte Frau Dr. O’Neal, als wir einen Raum betraten, in dem lauter Erstklässler vor ihren Staffeleien standen, »aber natürlich kommen bei uns alle Disziplinen zu ihrem Recht – die Naturwissenschaften, die Geisteswissenschaften und auch der Sport.«
»Was zeichnet die Jackson besonders aus?«, fragte Xander, als wir zu ihr aufgeschlossen hatten. Talia war nicht weit hinter uns.
»Am wichtigsten ist uns hier, den Charakter zu bilden«,sagte Frau Dr. O’Neal. »Wir versuchen nach bestem Wissen und Gewissen, den Kindern echten Respekt voreinander beizubringen.«
Dieselben Reden an allen Schulen bisher, doch bei dieser hatte ich das Gefühl, die Worte könnten wahr sein. Vielleicht war »nett« hier nicht die abfällige Bezeichnung für eine Eigenschaft, die beim unbedingten Willen, es nach Harvard zu schaffen, nur störte. Dies könnte eine Schule sein, in die wir alle drei – Xander, Dash und ich – reinpassten. Ich blieb dicht bei meinem Mann, als wir wieder auf den Korridor hinausgingen. »Wie findest du es hier?«, flüsterte ich ihm ins Ohr.
»Gefällt mir«, sagte er. »Gefällt mir bis jetzt am besten von allen.«
»Mir auch«, erwiderte ich und drückte seinen Arm. Da spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter klopfte.
»Hättet ihr nicht auch alles darum gegeben, an so eine Schule zu gehen?«, sagte Talia lächelnd. »Gedichte an den Wänden, unglaublich.«
»Hast du die Labors gesehen?«, gab Xander zurück. »In denen könnte ein Oberstufenschüler glatt ein Mittel gegen Krebs entwickeln.«
»Und die Bibliothek?«, sagte Talia. »Darin würde ich am liebsten ganze Nachmittage verbringen.«
»Es wäre wunderbar, wenn Henry und Dash in dieselbe Klasse gehen könnten«, schwärmte ich, wurde aber sogleich verlegen. Dr. O’Neal hatte kein einziges Wort über Geld verloren – das tat nie jemand bei diesen Besichtigungen –, doch ich hatte die Unterlagen gelesen, und das Schuldgeld war hier weit höher als an allen anderen Schulen, die wir gesehen hatten. Was, wenn Tom und Talia sich die immensen Kosten für diese Schule nicht leisten konnten? Wir vier setzten uns, und Dr. O’Neal begann Fragen zu beantworten.
»Nehmen Sie Geschwister von Kindern, die schon hier zur Schule gehen, bevorzugt auf?«, fragte eine Frau links von mir.
»Wir glauben an Familienwerte und versuchen, Geschwistern in jeder Hinsicht gerecht zu werden«, erwiderte sie. »Aber wir können leider für nichts garantieren.«
»Wann beginnen Sie mit Fremdsprachen?«, fragte ein Mann mit einem weißen Turban.
»In der zweiten Klasse«, sagte Dr. O’Neal, »und zur Auswahl stehen bei uns Spanisch, Französisch, Chinesisch, Japanisch,
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