Frevel: Roman (German Edition)
die Stirn.
»Das hat er sicher getan, aber ich kann mich im Moment nicht daran erinnern. Er war lateinisch.« Sie schüttelt den Kopf. »Auf jeden Fall scheint er es nicht gefunden zu haben; ich weiß das, weil ich ihn im Auge behalten habe. Habe alle paar Minuten den Kopf in den Raum gesteckt, versteht Ihr? Ich bin keine Närrin – einige dieser Bücher sind ein Jahreseinkommen wert, und ich würde es praktisch jedem zutrauen, sie zu stehlen, selbst wenn er sich wie ein Gentleman von hohem Rang kleidet. John hat bereits bemerkt, dass ein paar fehlen, und ich glaube ja, dafür ist unser geschätzter Hausgast verantwortlich.« Voller Abscheu presst sie die Lippen zusammen.
»Demnach handelte es sich bei diesem Besucher um einen Gentleman?« Ein böser Verdacht keimt in mir auf. »Wie hat er ausgesehen?«
»Lasst mich überlegen – er war ziemlich groß. Trug einen Hut mit einer riesigen Feder, den er auch im Haus nicht abnahm, was ich reichlich unhöflich fand. Es beweist wieder einmal, dass feine Kleider kein Garant für gute Manieren sind. Er hatte einen dunklen Spitzbart, der wie ein Dreieck geformt war.« Sie zeigt mit ihrer freien Hand, was sie meint. Dazu muss sie sie vom Mund des Babys wegziehen, das sich lauthals weinend beschwert.
»War es ein junger Mann?«
Sie überlegt kurz.
»Jünger als John. Älter als Ihr, würde ich sagen. Um die vierzig.«
Mein Herz macht einen kleinen Satz. Das klingt eindeutig nach Henry Howard. Zweifellos passt die Beschreibung auch noch auf andere Männer, allein, wer sonst würde wissen, dass Dee am Hof festgehalten wird, und die Gelegenheit nutzen, um in Dees Bibliothek herumzuschnüffeln? Wenn es Howard war … was hatte er zu finden gehofft?
»Also habt Ihr ihn in der Bibliothek beobachtet?« Ich achte darauf, dass meine Stimme meine Besorgnis nicht verrät, die arme Frau hat schon genug Bürden zu tragen. »Habt Ihr gesehen, was er gelesen hat? Hat er versucht, etwas an sich zu nehmen?«
»Ich glaube nicht. Aber er verhielt sich seltsam. Er hat die Regale in einer solchen Eile durchsucht, als wären sämtliche Höllenhunde hinter ihm her – fast wie im Rausch. Und wenn er dachte, ich würde es nicht sehen, hat er an der Tür zu Johns inneren Räumen gerüttelt, wo er seine geheimen Bücher aufbewahrt. Zum Glück hatte John sie abgeschlossen und den Schlüssel mitgenommen. Gegen die Täfelung hat der Kerl auch geklopft, als würde er ein Geheimfach suchen. Er hatte wohl sogar die Hand in den Kaminmantel gesteckt – gesehen habe ich es nicht, aber als er sich verabschiedet hat, hatte er Ruß am Ärmel.« Die Dreistigkeit dieses Fremden entlockt ihr ein grimmiges Lachen.
Sie muss so gut wie ich wissen, dass Dee bestimmte Papiere in einem Kasten in einer Nische im Kamin seines Studierzimmers verwahrt. Wer auch immer der Unbekannte gewesen sein mag, er hatte eine klare Vorstellung von dem, was er zu finden hoffte, und es muss sich um etwas handeln, was Dee seiner Überzeugung nach vor neugierigen Augen sorgsam verstecken würde.
»Wie lange ist er geblieben? Hattet Ihr den Eindruck, dass er gefunden hat, was er suchte?«
»So viele Fragen, Doktor Bruno!« Jane versucht, unbefangen zu klingen, aber ich höre die Furcht aus ihrer Stimme heraus. »Er blieb bis nach der Zeit zum Dinner, das schien er gar nicht zu merken. Er hat ein oder zwei Bücher aus dem Regal genommen und darin herumgeblättert, das war jedoch nur Theater. Ich begann allmählich zu vermuten, dass er vielleicht eine bestimmte Absicht verfolgte – eigens gekommen war, weil er wusste, dass John nicht hier war und dachte, er hätte dann freie Hand. Wer aber könnte das gewusst haben? Doch wohl nur die Königin und ihre engsten Vertrauten.« Ihre Stimme ist lauter geworden, sie sieht mich an, als könne ich ihre Ängste zerstreuen. »Habt Ihr eine Ahnung, wer dieser Mann war? Ihr hegt einen Verdacht, das sehe ich Euch an.«
»Ich denke, Ihr solltet in Abwesenheit Eures Mannes keine Fremden mehr ins Haus lassen«, warne ich. »Und diesen Mann schon gar nicht, sollte er sich noch einmal blicken lassen. Und ich werde sehen, ob ich nicht jemanden zu Euch schicken kann, der ein wenig auf Euch aufpasst, während John am Hof ist – es ist nicht gut, das Ihr mit den Kindern ganz allein im Haus seid.«
»Oh, ich bin ja gar nicht allein«, gibt sie trocken zurück. »Nicht, solange diese Schlumpe unter meinem Dach wohnt.«
Ich blicke mich um, weil ich annehme, dass sie die sauertöpfische Magd meint, die
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