Frevel: Roman (German Edition)
mir die Tür geöffnet hat, und frage mich, warum sie keine andere Dienerin einstellt, wenn ihr diese so zuwider ist. Vielleicht können sie sich keine andere leisten – was die Abneigung erklären würde.
»Dürfte ich einen Blick in Kelleys Kammer werfen?«, frage ich. »Darin könnte sich etwas befinden, was uns einen Hinweis darauf gibt, wie er seine Visionen erfindet, und vielleicht reicht das, um John von jeglichem Verdacht reinzuwaschen.«
»Natürlich.« Sie bringt mich zur Tür, reicht mir eine Kerze und deutet auf die Haupttreppe. »Es ist der Raum direkt über den Stufen. Geht nur hinein und stöbert darin herum, so viel Ihr wollt. Meinen Segen habt Ihr. Und achtet nicht auf sie «, fügt sie düster hinzu.
Dees Haus ist alt und verwinkelt, das Holz der Treppe und des Geländers dunkel und glatt von der Abnutzung durch Generationen von Händen und Füßen. Die Stufen knarren erschöpft, als ich sie erklimme, und aus den Augenwinkeln erhasche ich die Schatten hinter meinem Rücken, während sich der wässrige Lichtkreis der Kerze mit mir bewegt. Obwohl ich weiß, dass außer Jane, den Kindern und der Magd niemand im Haus ist, wappne ich mich für etwaige plötzliche Überraschungen, rechne halb damit, dass sich jemand aus einem Gang oder von einer Türschwelle her auf mich stürzt – als könne sich Kelley die ganze Zeit in einer spinnwebenverhangenen Ecke verborgen gehalten haben.
Die Tür am Ende der Treppe ist unverschlossen. Dahinter befindet sich ein großzügig geschnittener Raum mit zwei Fenstern, die auf den Fluss hinausgehen müssen. Jetzt, im Dunkeln, spiegeln sie nur meine verzerrten Umrisse und die Kerzenflamme wider. Als ich mich langsam umdrehe, stelle ich im Lichtschein fest, dass die Kammer eine Vielzahl von Gegenständen enthält: ein hölzernes Rollbett, dessen Decken zerknüllt und zurückgeworfen sind, als wäre Kelley gerade vorhin herausgesprungen, zwei Truhen, eine verschlossen, eine vor Kleidern und Leinenwäsche überquellend, ein Tisch mit ein paar Kerzenstummeln, daneben einige Würfel und ein Medaillon. Deren wabernde Schatten kriechen an den Wänden empor und wieder hinunter, als die Kerze an ihnen vorbeigleitet.
Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe, stecke ich meine Kerze in einen der Leuchter auf dem Tisch, stelle den dann neben mich auf den Boden und hocke mich neben die verschlossene Truhe. Ihr Schloss ist alt und verrostet, und als ich die Spitze meines kleinen Messers ansetze, brauche ich sie gegen meine Erwartung nur ein paarmal hin und her zu bewegen, dann öffnet das Schloss sich mit einem leisen Klicken, ich muss es nur noch entfernen und kann den Truhendeckel hochklappen. Mein Puls beschleunigt sich, sobald meine Finger auf Papier treffen, Briefbündel vielleicht, und darunter auf den Kalbsledereinband eines Buches. Ich fördere ein Bündel Manuskripte zu Tage und inspiziere sie in dem Lichtkreis der Kerze. Was ich sehe, lässt mich nach Luft schnappen.
Ich halte mit primitiver Hand ausgeführte Notizen und Zeichnungen in der Hand: astrologische und alchemistische Symbole sowie kabbalistische Zeichen; Namenslisten in einer merkwürdigen, mir unbekannten Sprache; geometrische Muster, die zu denen auf dem Tisch passen, den Dee bei seinen Séancen benutzt und von denen er behauptet, sie wären ihm durch Kelley von den Geistern übermittelt worden. Ferner gibt es Sternenkarten und Skizzen der Bilder der Dekane, die den Beschreibungen in den Schriften des Hermes entsprechen; Fetzen magischen Wissens, zusammengetragen aus in ganz Europa verbotenen Büchern, und drei vor kurzem illegal gedruckte Pamphlete, die denen ähneln, die auf dem Kirchhof von St. Paul’s vertrieben werden und die den Mord an Cecily Ashe als Zeichen des drohenden Endes der Welt werten. Auch Illustrationen, die an Scheußlichkeit kaum zu überbieten sind, fehlen nicht. Doch am beunruhigendsten sind die selbst gezeichneten Bilder, die ich ganz unten in der Truhe finde und die weitaus ausdrucksvoller sind als diejenigen in den Pamphleten. Sie zeigen eine junge Frau mit wehendem Haar und weit ausgebreiteten Armen, die in einer Hand ein Buch und in der anderen einen Schlüssel hält. Ihr Mieder ist zerrissen, ihre Brüste quellen heraus, und in ihrer Brust steckt ein Dolch. Einige tragen das Zeichen des Saturns auf der Brust, andere das des Jupiters. Diese Bilder unterscheiden sich in Einzelheiten voneinander – in einem steht eine Frau in etwas, das wie ein reißender Fluss aussieht,
Weitere Kostenlose Bücher