Frevel: Roman (German Edition)
nichts Böses will, sondern nur ein Auge auf mich hat. Über mir zerreißt der schrille Schrei einer Eule die Atmosphäre, ich schnappe erschrocken nach Luft, komme in einer Furche kurz ins Straucheln und meine, irgendwo hinter oder neben mir einen scharfen, zischenden Atemzug gehört zu haben. Ich bin vielleicht eine halbe Meile gelaufen, als ich einen schwachen menschlichen Laut vernehme – kein Wort, eher ein Grunzen, ein Geräusch, das von körperlicher Anstrengung zeugt. Ich fahre herum, halte das Licht hoch und reiße mit der rechten Hand mein Messer aus dem Gürtel. Dabei höre ich, wie sich mein Gegner bewegt und irgendetwas leise durch die Luft pfeift, und ein blinder Instinkt rät mir, mich zu ducken; die Hand mit dem Messer fliegt hoch, und da trifft mich schon ein Schlag und schickt mich zu Boden.
Wie durch verschwommene Schleier hindurch kann ich seine Silhouette erkennen, die über mir aufragt, dann wird die Welt dunkel um mich.
12
Barn Elms, Südwestlondon
1. Oktober im Jahr des Herrn 1583, nachts
Als das Licht zurückkehrt, sehe ich als Erstes den noch immer über mich gebeugten Umriss meines Angreifers. Ich setze mich schwach zur Wehr und höre, wie sich ein erstickter Schrei meiner Kehle entringt, aber der Typ drückt mich zu Boden, und ein sengender Schmerz frisst sich langsam von dort, wo mein linkes Auge sein sollte, aber jetzt nur noch tiefschwarze Nacht ist, quer über meine Stirn. Meine mit Wasser vollgesogenen Glieder protestieren und geben nach. Ich scheine im Boden einzusinken, kann aber nichts dagegen tun.
»Er ist wach.« Die Stimme scheint von dem Mann zu kommen, der in mein Gesicht späht; sie kommt mir irgendwie bekannt vor, doch ich kann ein Auge nicht öffnen und mit dem anderen nichts scharf erkennen. Flüchtig frage ich mich, ob er beabsichtigt, mich zu töten. Mit großer Mühe gelingt es mir, die Hände zu meinen beiden Seiten flach auf den Boden zu legen. Der Untergrund fühlt sich kühl und glatt an. Dann landet etwas Kaltes, Nasses auf meinem Gesicht, ich erlange prustend das Bewusstsein wieder und stütze mich auf einen Ellbogen.
»Gütiger Christus, Bruno, du hast uns den Schreck unseres Lebens eingejagt«, sagt der Mann, und als das verkrustete Blut mit einem feuchten Tuch von meinem unversehrten Auge getupft wird, nimmt er die Gestalt von Philip Sidney an. Ich begreife nicht, wie er hierherkommt, also beschließe ich, es auch gar nicht zu versuchen, obwohl ich, seit er mich in Oxford gerettet hatte, noch nie so froh war, ihn zu sehen.
»Ich glaube, es macht dir Spaß, mich dazu zu zwingen, dein Kindermädchen zu spielen«, bemerkt er vergnügt, als könne er meine Gedanken lesen. »Was in Gottes Namen ist dir diesmal zugestoßen? Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
»Ich weiß noch nicht einmal, wo ich bin.«
»Versuch du ja nicht aufzustehen.« Er richtet sich auf und reckt die langen Arme über den Kopf, aber das feuchte Tuch streicht auch weiterhin sanft über mein Gesicht. Mir wird klar, dass sich noch eine Person im Raum befinden muss, ich kann allerdings den Kopf nicht drehen, um zu sehen, wer es ist. »Du bist in Barn Elms«, fährt Sidney von der anderen Seite des Raums aus fort. »Du hast verdammtes Glück gehabt, Bruno, wenn du es genau wissen willst. Einer der Diener hat dich auf dem Rückweg von seinem freien Tag auf der Straße von Mortlake gefunden. Er wusste natürlich nicht, wer du bist, doch als sie dich ins Haus brachten, hat Frances dich erkannt. Nicht wahr, Liebes?«
»Ja, Philip«, bestätigt eine weiche Mädchenstimme über mir. Demnach handelt es sich bei meiner Krankenschwester um Sidneys Frau. Als sie das Tuch wegzieht, um es auszuspülen, erhasche ich aus dem Augenwinkel heraus einen Blick darauf. Das Wasser, das sie auswringt, ist hellrot.
»Ansonsten wärst du vermutlich gestorben«, stellt Sidney mit seiner üblichen Sachlichkeit fest. »Hast du den Täter gesehen? Er hat dich mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen, aber es sieht schlimmer aus, als es ist, denke ich. Hat er dich ausgeraubt?«
» Merda! « Ich setze mich mühsam auf, schleudere die Decke zurück und hätte dabei fast die Wasserschüssel umgestoßen. Weißes Licht flammt hinter meinen Augen auf, ich halte mich an dem Bettpfosten fest, bis es erlischt. Während ich ohnmächtig war, hat mich jemand entkleidet, ich trage nur noch mein Hemd und meine Beinlinge. »Die Papiere! Wo sind sie?«
»Was für Papiere? Nicht bewegen, sonst fängst du wieder an zu
Weitere Kostenlose Bücher