Frevel: Roman (German Edition)
erkennen kann. Sein Gesichtsausdruck ist neutral, zeugt höchstens von leiser Neugier. »Das ist nach den Gesetzen der Kirche streng verboten«, erwidere ich endlich. »Eurer und meiner.«
»Ich weiß , dass es verboten ist, Bruno – ich verfasse schließlich die Gesetze«, antwortet er ungeduldig. »Deswegen will es niemand zugeben, obwohl das Land von diesen sogenannten Sehern und Wahrsagern nur so wimmelt, die die Armen und Unwissenden schamlos täuschen. Und bisweilen auch die Gebildeten«, fügt er trocken hinzu. »Aber glaubt Ihr, dass manche Menschen wirklich die Gabe haben könnten, mit Geistern zu sprechen – Engeln oder Dämonen, oder wie auch immer man sie nennen mag? Habt Ihr so etwas jemals erlebt, oder ist dieser Aberglaube nur ein Relikt aus unserer finsteren Vergangenheit?« Die Hand noch immer auf den Türknauf gelegt forscht er in meinem Gesicht. Ich spüre, dass auch Sidneys Blick fragend auf mir ruht. Mir ist bekannt, dass er sich für solche Dinge interessiert hatte, als er Dees Schüler war, seit er eine Position bei Hof innehat, distanziert er sich jedoch davon. Mein armer gemarterter Verstand fühlt sich den diplomatischen Spitzfindigkeiten nicht gewachsen, die eine Antwort auf diese Frage erfordert.
»Wenn das Universum unendlich ist, woran ich fest glaube«, ich wäge meine Worte sorgfältig ab, »dann muss es mehr enthalten als das, was wir bislang verstanden oder niedergeschrieben haben. Die heiligen Schriften unserer und anderer Religionen sprechen sämtlich von Wesen, die zwischen uns und den Göttern stehen. Im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte haben überall auf der Welt Menschen behauptet, mit ihnen sprechen und die Zukunft vorhersagen zu können. Ich kann nicht beurteilen, ob das der Wahrheit entspricht oder nicht, aber in einem Punkt bin ich mir sicher – wenn es Menschen gibt, die über diese Gabe verfügen, gehört Ned Kelley nicht zu ihnen. Und John Dee auch nicht.«
»Und Ihr?«, fragt Walsingham prompt.
Ich höre, wie Sidney zischend den Atem einzieht.
»Ich gleichfalls nicht, Euer Gnaden.« Ich verzichte darauf, das Wort »noch« einzufügen, obwohl es in meinem Kopf widerhallt.
Walsingham sieht mich kurz an, dann nickt er knapp, rauscht zur Tür hinaus und fordert Sidney und mich auf, ihm zu folgen. Sidney legt mir eine Hand auf den Arm.
»Sei vorsichtig, Bruno.« Er senkt die Stimme. »Wie auch immer die Wahrheit über diesen Kelley und die Morde aussieht – Dee wird aus der Sache nicht ungeschoren herauskommen. Was er getan hat, gilt als Hexerei, das weißt du. Es sind schon Menschen wegen geringerer Vergehen auf dem Scheiterhaufen gelandet. Die Königin wird nicht zulassen, dass man ihn verbrennt, aber sie wird sich von ihm distanzieren müssen – und du könntest ebenfalls in Misskredit geraten, weil du freundschaftlichen Umgang mit ihm pflegst.«
»Somit hätte Howard sein Ziel erreicht.« Ich packe ihn am Ärmel. »Dee fällt in Ungnade und wird vom Hof verbannt. Wir müssen Beweise finden, die Howard ohne jeden Zweifel mit den Todesfällen in Verbindung bringen, oder Dee ist ruiniert!«
»Du bist also fest davon überzeugt, dass Howard hinter den Morden steckt?«
»Ich weiß es nicht. So vieles deutet auf ihn hin, und trotzdem ergibt so vieles keinen Sinn.« Fowlers Warnung fällt mir wieder ein. »Freilich darf ich mich nicht auf Howard als Täter versteifen, nur weil mir der Mann zutiefst zuwider ist.« Wieder berühre ich die Wunde an meiner Schläfe. »O Gott, bin ich ein Narr. Wenn ich diese Papiere nicht verloren hätte …«
»Ja, wenn … und wenn dieser Bursche besser gezielt hätte, wärst du jetzt tot«, schilt Sidney. »Vergiss die Papiere, und versuche, an Howard heranzukommen. Irgendwann muss er sich verraten.«
»Oder mich vorher umbringen«, fasse ich meine Befürchtung in Worte, dabei betrachte ich das Blut an meinen Fingerspitzen.
13
Salisbury Court, London
1. Oktober im Jahr des Herrn 1583
Anfangs kann ich das Geräusch nicht zuordnen; ein beharrliches Hämmern, das den Kokon des Schlafes durchdringt. Als ich erwache, explodiert ein neuer Schmerz hinter meinen Augen, doch als ich meine Schläfe vorsichtig betaste, spüre ich, dass die Schwellung zurückzugehen scheint. Bruchstücke der letzten Nacht ziehen an mir vorbei und formen sich zu einer vagen Erinnerung: Walsinghams Boot setzte mich am Ende der Water Lane ab, und einer seiner Diener begleitete mich bis zur Gartentür von Salisbury Court. Ich hatte gehofft, mich
Weitere Kostenlose Bücher