Frevel: Roman (German Edition)
unbemerkt die Treppe hochschleppen zu können, doch Courcelles kam sie zur gleichen Zeit herunter, und ich habe fast befriedigt registriert, dass er sein Entsetzen über meinen Zustand nicht verbergen konnte. Trotz meiner Proteste führte er mich sofort zu Castelnau. Der Botschafter akzeptierte meine Geschichte von einem Schänkenstreit mit englischen Raufbolden, ohne Fragen zu stellen (wir Ausländer waren alle schon einmal Opfer von Misshandlungen durch die Londoner), und hätte sich nicht freundlicher und mitfühlender zeigen können. Seine wutentbrannten Drohungen, gesetzliche Maßnahmen einzuleiten oder den Bürgermeister einzuschalten, habe ich gleichwohl entschieden abgewehrt; ich wollte nur noch in mein Bett fallen und die Augen schließen.
Und jetzt bin ich viel zu früh – es fällt kaum mehr als ein schwacher Lichtschein durch die Fensterläden – von dem zunehmend eindringlicher werdenden Klopfen geweckt worden. Für einen Augenblick verstummt es, und ich hoffe schon, derjenige, ganz egal wer das hier sein sollte, hätte aufgegeben, doch dann flüstert jemand: »Bruno! So lasst mich doch herein!«, und das Klopfen setzt von neuem ein. Leise fluchend krieche ich aus dem Bett und entriegele die Tür. Léon Dumas steht zitternd in seinem Nachthemd vor mir, seine Augen quellen hervor wie die eines verängstigten Fisches.
»Rasch«, raunt er und späht über seine Schulter, als er in meine Kammer huscht, obwohl der Gang leer ist. »Großer Gott, was ist mit Eurem Kopf passiert?«
»Ich bin in einer Schänke angegriffen worden. Ein paar Londonern hat mein Akzent nicht gefallen.«
»Tatsächlich?« Wenn überhaupt möglich, sieht er jetzt noch ängstlicher aus. »Ich bin schon einmal angespuckt worden, weil ich Franzose bin, aber Euch haben sie schlimm zugerichtet. Waren sie betrunken?«
»Allerdings. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Ich hätte sie gar nicht beachten sollen, aber ich habe auf ihre Pöbeleien reagiert. Es war mein Fehler.«
»Was hattet Ihr denn an einem solchen Ort zu suchen, Bruno? Wart Ihr allein?« Er wirkt so besorgt, dass ich ihn am liebsten getröstet hätte.
»Ja. Ich bin auf dem Rückweg von der Bibliothek in Mortlake – dort, wo ich an meinem Buch arbeite, das wisst Ihr ja – kurz eingekehrt, um eine Kleinigkeit zu essen.«
»Das sieht ja furchtbar aus.« Er ringt die Hände und runzelt die Stirn wie eine hilflose Mutter. »Wart Ihr bei einem Arzt? Ihr solltet einen aufsuchen.«
Ich schüttele meinen Kopf – und bereue es sofort.
»Es wird schon heilen. Wolltet Ihr etwas Bestimmtes von mir?«
»Oh, das. Nun, ich …« Er knetet seine Hände, geht dann zum Fenster, dreht sich mit gequältem Gesicht zu mir um, beißt in seinen Daumenknöchel und kommt zurück. »Ich brauche Eure Hilfe.«
»Natürlich. Was kann ich denn für Euch tun?« Ich bemühe mich, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
»Da ist etwas …« Er reibt sich den Nacken und wendet den Blick ab. »Ich weiß nicht, wie ich es Euch sagen soll, aber ich muss es loswerden. Es belastet mein Gewissen zu sehr.« Wieder bricht er ab und fixiert mich mit seinen riesigen Augen, als flehte er mich an, sein Geständnis aus ihm herauszuholen, ohne dass er es laut aussprechen müsste. Einen Moment schließt sich eine eisige Hand um mein Herz – würde er mir gleich mitteilen, dass er unter dem ständigen Druck, dem er ausgesetzt ist, zusammengebrochen sei und jemandem in der Botschaft von Walsingham und den Briefen erzählt hätte? Unser Verrat ist aufgeflogen – anders kann es nicht sein. Aufgrund des Zustands meines Kopfes kann ich mir die Konsequenzen für die Invasionspläne und für meine Person kaum ausmalen.
»Ich habe Schweigen gelobt, doch ich fürchte, man wird mich bald überführen, und dann ergeht es mir noch schlimmer, als wenn ich freiwillig gestehe. Aber ich sagte mir, Bruno wird wissen, was zu tun ist.«
»Was ist geschehen, Léon?« Ich versuche, meiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen, obwohl mir schwant, dass ich die Antwort bereits kenne. Er wirkt, als könnte er jede Sekunde in Tränen ausbrechen.
»Es geht um den Ring«, stößt er endlich hervor. »Den verschwundenen Ring, den Maria Stuart Henry Howard geschickt hatte.«
Einen Moment lang verschlägt es mir die Sprache.
»Was ist damit?«
»Ich weiß, wo er ist.«
Soweit mir bekannt ist, befindet sich Maria Stuarts Ring derzeitig in Walsinghams Obhut. Dumas kann das unmöglich wissen. Ich starre ihn an, während
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