Frevel: Roman (German Edition)
in die Augen zu sehen. »Ich hatte wieder wachgelegen und fand – nicht zu Unrecht, denke ich –, dass ich das Recht auf etwas Trost von meiner eigenen Frau hätte.« Er sagt das alles hinter dem Schutz seiner Handrücken. Castelnau hat einen starken Sinn für persönliche Würde; es muss ihm schwerfallen, mir eine Geschichte anzuvertrauen, die mit seiner eigenen Demütigung endet. Einen Moment frage ich mich, warum er mir das alles erzählt, wenn nicht, um mich zu beschuldigen. »Für gewöhnlich erniedrige ich mich nicht so vor ihr, aber der Druck …« Er bricht bekümmert mit immer noch gesenktem Kopf ab.
»Und weiter …?«, dränge ich nach weiterem Schweigen.
»Ich ging zu ihrer Kammer und klopfte leise an. Ich glaube, ich hatte gar nicht daran gedacht, das Bett mit ihr zu teilen – ich wollte nur etwas Zärtlichkeit, die Berührung einer Frau. Eine weiche Hand auf meiner Stirn. Nicht zu viel verlangt von der eigenen Frau, oder, Bruno?«
Ich erinnere mich lebhaft daran, wie diese Hand erst einige Stunden zuvor meine eigene Stirn berührt hat. Meine Haut prickelt leicht. Ich schüttele den Kopf.
»Ganz und gar nicht, Mylord.«
Er holt tief Atem, als wappne er sich für den nächsten Teil seiner Geschichte.
»War sie mit einem anderen zusammen?«
»Nein. Nun ja, vielleicht. Sie war gar nicht da, das ist es. Nicht in ihrem Bett.«
»Wo war sie dann?«
»Ich weiß es nicht, Bruno«, erwidert er mit einem Anflug von Ungeduld. »Ich habe nicht das Haus durchkämmt, um herauszufinden, in welchem Bett sie lag. Es hat gereicht, dass ich sie nicht in ihrem eigenen vorgefunden habe. Wer weiß, ob sie überhaupt im Haus war.«
»Womöglich ist sie nachts aufgestanden, um nach ihrer Tochter zu sehen?«, überlege ich.
Castelnau misst mich mit einem zweifelnden Blick.
»Ihr kennt meine Frau nicht gut, nicht wahr, Bruno?«, versetzt er. »Sie ist nie eine fürsorgliche Mutter gewesen. Katherine hat eine Kinderfrau, die in ihrer Kammer schläft. Vielleicht sollte ich auch für Marie eine einstellen.«
»Verdächtigt Ihr denn irgendjemanden?«, frage ich so harmlos wie möglich.
Er schüttelt den Kopf.
»Inzwischen alle und jeden, Bruno. Ihr habt meine Frau erlebt. Sie benimmt sich so, dass es in jedem Mann Hoffnungen wecken muss – ich mache ihr keinen Vorwurf daraus, es ist einfach ihre Art. Sie ist von Natur aus kokett – ich kann nicht leugnen, dass mich gerade das zu ihr hingezogen hat. Henry Howard macht ihr natürlich den Hof, doch ich halte ihn für redlich genug, um sicher zu sein, dass er sich nur ihre Unterstützung in religiösen Angelegenheiten sichern will. Ich weiß es nicht, Bruno. Ich verdächtige jeden, vom Küchenjungen bis zum Earl of Arundel und meinen eigenen Sekretär.« Er deutet auf Dumas’ leeren Stuhl, dann stützt er die Ellbogen auf den Schreibtisch und presst seine Stirn in die Hände. »Habt heute Abend ein Auge auf sie, ja? Wenn ich nicht dabei bin, verhält sie sich vielleicht weniger zurückhaltend. Euch könnte auffallen, wem sie eine unschickliche Zuneigung zeigt.«
Mühsam verdränge ich die Erinnerung an Maries an mich gepressten Körper und ihre Hand auf meiner Brust. Armer Castelnau. Jeglicher Versuchung und möglichen Konsequenzen zum Trotz beschließe ich, dass ich nicht derjenige sein werde, der seinen Verdacht bestätigt.
»Ich werde tun, was Ihr wünscht, Mylord. Aber wenn ich Euch einen Rat geben darf – es bringt nichts, wenn Ihr Euch von Phantomen peinigen lasst. Solange Ihr keine Beweise gegen Marie habt, solltet Ihr Euch lieber auf reale Probleme konzentrieren.«
Er lächelt dünn.
»Euer Rat ist gut, Bruno.« Unverhofft legt er eine seiner großen, schwarz behaarten Hände über meine. »Es macht mir nichts aus, es jetzt einzugestehen, aber anfangs wollte ich Euch nicht in meinem Haus haben, obwohl Ihr unter dem Schutz meines Herrschers standet. Einen bekannten Ketzer unter meinem Dach zu beherbergen! Ich dachte, Ihr hättet Euch Henris schwachen Charakter zunutze gemacht, um seine Zuneigung zu gewinnen. Jedoch habe ich meinen Irrtum rasch erkannt. Ihr seid ein guter Mann, Bruno, und ich bin froher als je zuvor, dass Ihr zu mir gekommen seid. Es gibt niemanden sonst in England, dem ich mich so bereitwillig anvertrauen würde.« Er drückt leicht meine Hand.
»Danke. Ich fühle mich geehrt.« Ich muss den Blick abwenden. Ich bin nicht der Mann, für den er mich hält, und das, was er mir anvertraut und ich so bedenkenlos an Walsingham weitergebe,
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