Frevel: Roman (German Edition)
seinen Stellvertreter zu dieser Versammlung der Verschwörer schickt. Kein Wunder, dass Courcelles sich übergangen fühlt. Ich hebe eine Braue.
»Das werdet Ihr mir sicher gleich sagen.«
»Allerdings.« Sein Finger zittert vor unterdrückter Wut. »Ihr seid ein Flüchtling, der auf Kosten des Botschafters lebt, weil unser schwächlicher Herrscher aufgrund Eurer gemeinsamen Missachtung der Heiligen Mutter Kirche eine fehlgeleitete Zuneigung für Euch hegt! Ihr seid ja noch nicht einmal ein Franzose!«, fügt er hinzu, dabei schüttelt er den Kopf, als wäre das das größte Vergehen von allen.
»Das reicht, Claude«, mischt sich Marie mit gelangweilter Stimme ein.
»Warum?« Courcelles ist zu aufgebracht, um sich besänftigen zu lassen. »Fürchtet Ihr, er könnte König Henri schreiben und ihm meine Worte wiederholen?«
»Wer weiß, wem Bruno in seiner abgelegenen kleinen Kammer so schreibt?« Mit einem verstohlenen Lächeln zwinkert sie mir zu.
»Der Botschafter hat mich gebeten, in seinem Namen einigen seiner Ansichten Ausdruck zu verleihen«, sage ich, dabei drehe ich mich wieder zum Ufer, als wäre das alles für mich bedeutungslos. »Er hat sicher nichts dagegen, dass Ihr gleichfalls Eure Meinung äußert, Courcelles.«
»Wozu die Aufregung, Claude?« Marie schlingt ihren Samtumhang enger um sich. »Jeder wird Gelegenheit erhalten, das Wort zu ergreifen, da bin ich ganz sicher.«
»Es ist eine Frage des Protokolls!« Courcelles’ Stimme steigert sich zu einem schrillen Quieken. »Wenn der Botschafter indisponiert ist, bekleide ich nach ihm den höchsten Rang und sollte offiziell die Interessen Frankreichs vertreten – ich und nicht dieser Hochstapler !«
»Es handelt sich um eine Einladung zum Abendessen«, erwidert sie in einem Ton, in dem man ein schmollendes Kind beruhigt. »Und nicht um eine Kriegsratsversammlung.«
»Nicht?« Er fährt zu ihr herum. Augenblicklich gibt sie ihm einen Klaps auf den Arm, nickt hinüber zu dem Bootsmann und bewegt stumm die Lippen. Der Mann scheint nichts bemerkt zu haben, aber man kann nie vorsichtig genug sein, besagt diese hektische Geste, die Courcelles zum Schweigen bringen soll. Man kann nie wissen, bei wem man es mit einem Informanten zu tun hat. Ich blicke auf das unter den Rudern dahinströmende Wasser. Castelnau mag glauben, ich wäre als sein Sprachrohr hier, doch ich verfolge einen größeren Plan. Meiner Meinung nach läuft alles in Arundel House und bei Familie Howard zusammen: das Invasionskomplott, die Morde an Cecily Ashe und Abigail Morley, Ned Kelley, Maria Stuart und – was ich kaum zu hoffen wage – das verschwundene Buch des Hermes Trismegistos, das Buch, das John Dee vor vierzehn Jahren gewaltsam gestohlen wurde. Diese unerwartete Gelegenheit, in das Haus der Howards zu gelangen, darf ich mir nicht entgehen lassen; ich muss einen Weg finden, das Geheimnis zu entdecken, von dem ich fest überzeugt bin, dass es irgendwo hinter der Ziegelmauer versteckt liegt, die jetzt rechts von uns aufragt, als unser Bootsmann auf einen kleinen Landesteg mit zu einem Bogengang und einem Eisentor führenden Stufen zusteuert. Ich habe mir bereits einen Plan zurechtgelegt; um ihn ausführen zu können, benötige ich ein gehöriges Maß an Glück, die Kerze und die Zunderbüchse, die ich in meiner Tasche trage, und alles, was ich an Schauspielkunst aufbieten kann.
Ein Diener in der Livree der Arundels erwartet uns oben auf der Wassertreppe und hält uns mit gesenktem Haupt das Tor auf. Ich trete zurück und überlasse es Courcelles, Marie galant aus dem Boot zu helfen. Sie erklimmt zwei Stufen, dabei rafft sie die Röcke, damit sie nicht mit dem Schleim in Berührung kommen, der die Steine bei Ebbe bedeckt, dann dreht sie sich zu mir um, als wäre ihr gerade etwas eingefallen.
»Euer Freund, der Sekretär, Bruno – wie lautet doch gleich sein Name?«
»Dumas«, erwidere ich, obwohl ich sicher bin, dass sie das selbst weiß. »Was ist mit ihm?«
»Es sieht so aus, als wäre er davongelaufen. Mein Mann hatte ihn heute Morgen auf einen Botengang geschickt, und er ist nicht zurückgekommen. Ich dachte, Ihr wüsstet vielleicht, wo er abgeblieben sein könnte.«
»Ich habe Dumas …«, seit heute Morgen nicht mehr gesehen, hätte ich fast hinzugefügt, halte mich aber in Gegenwart von Courcelles zurück, der mich wie immer mit leicht angehobenem Kinn betrachtet, als versuche er, einem üblen Geruch auszuweichen, »… heute noch nicht zu Gesicht bekommen«,
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